Das Lied von Eis und Feuer 6 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 6 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (2)
außer mir sind tot. Jetzt war sie ganz allein auf der Welt.
Ihr Hoher Gemahl lag nicht neben ihr, doch daran hatte sie sich gewöhnt. Tyrion schlief häufig schlecht und stand dann vor dem Morgengrauen auf. Gewöhnlich fand sie ihn im Solar, wo er neben einer Kerze hockte und sich in eine alte Schriftrolle oder ein in Leder gebundenes Buch vertieft hatte. Manchmal lockte ihn der Geruch des Morgenbrotes aus den Backöfen in die Küche, und gelegentlich stieg er auch hinauf in den Dachgarten oder wandelte allein über den Weg des Verräters.
Sie stieß die Fensterläden auf und zitterte, während sich auf ihren Armen Gänsehaut bildete. Am Himmel im Osten sammelten sich Wolken, zwischen denen sich die Sonnenstrahlen hindurchdrängten. Sie sehen aus wie zwei riesige Burgen, die im Morgenhimmel schweben. Sansa konnte sogar die Mauern aus Feldsteinen, die mächtigen Bergfriede und die Vorwerke sehen. Dünne Banner wehten auf den Türmen und griffen nach den Sternen, die mit der Dämmerung rasch verblassten. Die
Sonne stieg hinter ihnen empor, und Sansa schaute zu, wie das Schwarz der Wolken sich nach und nach in Grau und tausend Schattierungen von Rosa, Gold und Scharlachrot verwandelte. Bald hatte der Wind die Gebilde miteinander vermengt, und nun stand anstelle der zwei Burgen nur noch eine.
Die Tür öffnete sich, und ihre Zofen brachten heißes Wasser für ihr Bad. Die beiden waren neu in ihren Diensten. Tyrion hatte behauptet, die Frauen, die sich früher um sie gekümmert hätten, seien alle Cerseis Spitzel gewesen, was Sansa schon immer vermutet hatte. »Kommt und schaut euch das an«, rief sie die zwei. »Dort am Himmel steht eine Burg.«
Sie eilten herbei und sahen hinaus. »Sie ist aus Gold.« Shae hatte kurzes dunkles Haar und freche Augen. Sie tat alles, was man ihr auftrug, doch manchmal warf sie Sansa ausgesprochen unverschämte Blicke zu. »Eine Burg aus Gold, die würde ich gerne einmal sehen.«
»Eine Burg soll das sein?« Brella blinzelte. »Der Turm dort kippt gerade um, scheint mir. Eher eine Ruine.«
Sansa wollte nichts von umstürzenden Türmen und Burgruinen hören. Sie schloss die Fensterläden und sagte: »Man erwartet uns zum Frühstück bei der Königin. Ist mein Hoher Gemahl im Solar?«
»Nein, M’lady«, antwortete Brella. »Ich habe ihn noch nicht gesehen.«
»Vielleicht ist er zu seinem Vater gegangen«, meinte Shae. »Vielleicht braucht die Hand des Königs seinen Rat.«
Brella schnaubte nur. »Lady Sansa, Ihr wollt doch gewiss nicht erst in die Wanne, wenn das Wasser kalt ist.«
Sansa ließ sich von Shae das Nachthemd über den Kopf ziehen und stieg in den großen Holzzuber. Sie überlegte, ob sie sich einen Becher Wein bestellen sollte, um ihre Nerven zu beruhigen. Die Vermählung sollte mittags in der Großen Septe von Baelor auf der anderen Seite der Stadt stattfinden. Und am Abend würde das Fest im Thronsaal gefeiert werden, mit tausend Gästen und siebenundsiebzig Speisen, mit Sängern und
Akrobaten und Mimen. Der Tag begann jedoch mit dem Frühstück im Ballsaal der Königin, nur für die Lennisters, die Männer der Tyrells – die Frauen der Tyrells frühstückten mit Margaery – und hundert Ritter und kleine Lords. Sie haben mich zu einer Lennister gemacht, dachte Sansa verbittert.
Brella schickte Shae los, um noch mehr heißes Wasser zu holen, während sie Sansa den Rücken wusch. »Ihr zittert ja, M’lady.«
»Das Wasser ist nicht warm genug«, log Sansa.
Ihre Zofen zogen sie gerade an, als Tyrion mit Podrick Payn im Schlepptau eintrat. »Ihr seht wunderschön aus, Sansa.« Er wandte sich an seinen Knappen. »Pod, sei so gut und schenk mir einen Becher Wein ein.«
»Beim Frühstück wird es Wein geben, Mylord«, sagte Sansa.
»Hier gibt es ebenfalls Wein. Ihr erwartet gewiss nicht von mir, dass ich meiner Schwester nüchtern entgegentrete? Ein neues Jahrhundert beginnt, Mylady. Das dreihundertste Jahr seit Aegons Eroberung.« Der Zwerg nahm den Becher Roten von Podrick entgegen und hielt ihn in die Höhe. »Auf Aegon. Was für ein Glückspilz. Zwei Schwestern, zwei Gemahlinnen und drei große Drachen, was kann sich ein Mann mehr wünschen?« Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
Die Kleidung des Gnoms war schmutzig und zerknittert, fiel Sansa auf, als habe er darin geschlafen. »Würdet Ihr Euch umziehen, Mylord? Ihr habt so ein schönes neues Wams.«
»Das Wams ist hübsch, ja.« Tyrion stellte den Becher zur Seite. »Komm, Pod, schauen wir, ob
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