Das Lied von Eis und Feuer 6 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 6 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (2)
die Jons Finger an seinem Hals hinterlassen hatten. »Da seht ihr es selbst, Brüder. Der Junge ist ein Wildling.«
TYRION
Als der Morgen graute, war ihm der Gedanke ans Essen zuwider. Heute Abend wird vielleicht schon das Urteil über mich gesprochen sein. Er hatte Sodbrennen, und seine Nase juckte. Tyrion kratzte sich mit der Messerspitze. Einen letzten Zeugen muss ich noch überstehen, dann bin ich an der Reihe. Aber was soll ich tun? Alles leugnen? Sansa und Ser Dontos beschuldigen? Ein Geständnis ablegen in der Hoffnung, den Rest meiner Tage auf der Mauer zu verbringen? Alles wagen und hoffen, dass die Rote Viper Ser Gregor Clegane besiegen kann?
Tyrion stach lustlos in die fettige graue Wurst und wünschte, es wäre seine Schwester. Auf der Mauer ist es verdammt kalt, aber wenigstens hätte ich meine Ruhe vor Cersei. Er würde gewiss keinen großartigen Grenzer abgeben, doch die Nachtwache brauchte neben starken Männern auch kluge. Das hatte Lord Kommandant Mormont gesagt, als Tyrion die Schwarze Festung besucht hatte. Allerdings sind da noch diese lästigen Gelübde. Es würde das Ende seiner Ehe bedeuten, und er würde auch auf jeglichen Anspruch auf Casterlystein verzichten müssen, aber für beides hatte ihn das Schicksal offensichtlich sowieso nicht vorgesehen. Und gab es nicht in dem benachbarten Dorf ein Bordell?
Von einem solchen Leben hatte er nie geträumt, aber immerhin wäre es ein Leben. Und alles, was er dafür zu tun brauchte, war, seinem Vater zu vertrauen, sich auf die kurzen Stummelbeine zu erheben und zu sagen: »Ja, ich habe es getan, ich gestehe es.« Das war der Teil, bei dem sich seine Eingeweide zusammenkrampften. Fast wünschte er, er hätte die Tat wirklich
begangen, denn dafür bestraft würde er anscheinend in jedem Fall.
»Mylord?«, sagte Podrick Payn. »Sie sind da, Mylord. Ser Addam. Und die Goldröcke. Sie warten draußen.«
»Pod, sag mir die Wahrheit … Glaubst du, dass ich es war?«
Der Junge zögerte. Schließlich wollte er sprechen, brachte allerdings nur ein Stammeln zu Stande.
Ich bin verloren. Tyrion seufzte. »Schon gut. Du warst mir ein guter Knappe. Ein besserer, als ich verdient hatte. Was immer auch geschieht, ich danke dir für deine treuen Dienste.«
Ser Addam Marbrand wartete mit sechs Goldröcken vor der Tür. Heute Morgen hatte er anscheinend nichts zu sagen. Noch ein guter Mann, der mich für einen Sippenmörder hält. Tyrion brachte alle Würde auf, die er zusammenraffen konnte, und watschelte die Treppe hinunter. Er spürte die Blicke, während er den Hof überquerte — die Blicke der Wachen auf den Mauern, der Burschen vor den Stallungen, der Küchenmägde, Waschfrauen und Dienstmädchen am Brunnen. Im Thronsaal wichen die Ritter und Lords zur Seite, um ihn durchzulassen, und tuschelten mit ihren Damen.
Sobald Tyrion seinen Platz vor den Richtern eingenommen hatte, führte eine zweite Gruppe Goldröcke Shae herein.
Eine kalte Hand schloss sich um sein Herz. Varys hat sie verraten, dachte er. Dann erinnerte er sich. Nein. Ich habe sie selbst verraten. Ich hätte sie bei Lollys lassen sollen. Natürlich haben sie Sansas Zofen verhört, das hätte ich auch getan. Tyrion rieb sich die glatte Narbe, die von seiner Nase geblieben war, und fragte sich, was Cersei damit bezwecken wollte. Shae weiß nichts, was mir etwas anhaben könnte.
»Sie haben es zusammen geplant«, sagte sie, das Mädchen, das er geliebt hatte. »Der Gnom und Lady Sansa haben es zusammen geplant, nachdem der Junge Wolf gestorben war. Sansa wollte Rache für ihren Bruder, und Tyrion wollte den Thron. Als Nächstes wollte er seine Schwester töten, dann seinen eigenen
Hohen Vater, damit er Prinz Tommens Hand sein konnte. Aber schon nach einem Jahr oder so, bevor Tommen zu alt gewesen wäre, hätte er den Jungen ebenfalls getötet, um sich die Krone auf seinen eigenen Kopf zu setzen.«
»Woher weißt du das alles?«, verlangte Prinz Oberyn zu wissen. »Warum sollte der Gnom solche Pläne der Zofe seiner Gemahlin anvertrauen?«
»Einiges habe ich belauscht, M’lord«, erwiderte Shae. »Und M’lady ist einiges entschlüpft. Aber das meiste habe ich von seinen eigenen Lippen gehört. Ich war nicht nur nur Lady Sansas Zofe. Ich war seine Hure, die ganze Zeit, während er hier in Königsmund war. Am Morgen der Hochzeit hat er mich in den Keller gezerrt, wo sie die Drachenschädel aufbewahren, und mich zwischen all diesen Ungeheuern genommen. Und als ich geweint habe, hat er
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