Das Lied von Eis und Feuer 7 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 7 - A Feast of Crows. A Song of Ice and Fire, vol 4 (4/1)
war er alles, was ein König sein sollte.«
Ohne seinen Bart wirkte Pycelle nicht nur alt, sondern auch kraftlos. Ihn zu rasieren war das Grausamste, was Tyrion ihm antun konnte, dachte Jaime, der wusste, wie es war, wenn man einen Teil von sich verlor, den Teil, der einen zu dem machte, was man war. Pycelles Bart war prachtvoll gewesen, weiß wie Schnee und weich wie Lammwolle war er üppig von Wangen und Kinn fast bis zum Gürtel gewallt. Der Großmaester pflegte mit den Händen darüberzustreichen, wenn er sich über etwas ausließ. Der Bart hatte ihm eine Aura von Weisheit verliehen und alle möglichen Unansehnlichkeiten verdeckt: die schlaffe Haut, die unter dem Kinn des alten Mannes hing, den kleinen, verdrossenen Mund und die fehlenden Zähne, die unzähligen Warzen, Falten und Altersflecken. Pycelle versuchte, den Bart nachwachsen zu lassen, allerdings gelang ihm das nicht. Nur Büschel und Fransen sprossen aus den runzligen Wangen und dem weichen Kinn, und zwar so kärglich, dass Jaime die fleckige rosa Haut darunter erkennen konnte.
»Ser Jaime, im Laufe meines Lebens bin ich Zeuge vieler
schrecklicher Ereignisse geworden«, hatte der alte Mann gesagt. »Kriege, Schlachten, die abscheulichsten Morde … Ich war noch ein Junge in Altsass, als die Graue Pest die halbe Stadt und drei Viertel der Citadel geholt hat. Lord Hohenturm verbrannte jedes Schiff im Hafen, schloss die Tore und befahl seinen Wachen, jeden zu töten, der einen Fluchtversuch unternähme, ob Mann, Frau oder Säugling an der Mutterbrust. Sie brachten ihn um, als die Pest vorüber war. An dem Tag, an dem er den Hafen wieder öffnete, rissen sie ihn vom Pferd und schlitzten ihm und seinem kleinen Sohn die Kehle auf. Bis zum heutigen Tag spucken die Unwissenden aus, wenn sie seinen Namen hören, und dabei hat Quenten Hohenturm nur getan, was nötig war. Euer Vater war auch so ein Mann. Ein Mann, der tat, was notwendig ist.«
»Sieht er deshalb so aus, als wäre er mit sich zufrieden?«
Die Gase, die von dem Leichnam aufstiegen, trieben Pycelle die Tränen in die Augen. »Das Fleisch … das Fleisch trocknet, die Muskeln spannen sich und ziehen die Lippen nach oben. Das ist kein Lächeln, sondern nur ein … ein Austrocknen , mehr nicht.« Er blinzelte die Tränen fort. »Entschuldigt mich. Ich bin so müde.« Pycelle stützte sich schwer auf seinen Stock und wankte langsam aus der Septe. Auch er stirbt, begriff Jaime. Kein Wunder, dass Cersei ihn für nutzlos hält.
Natürlich hielt seine süße Schwester den halben Hof für nutzlos oder verräterisch; Pycelle, die Königsgarde, die Tyrells, Jaime selbst … sogar Ser Ilyn Payn, den stummen Ritter, der als Henker diente. Die Kerker fielen in seine Verantwortung als Richter des Königs. Da es ihm an einer Zunge mangelte, hatte er den Betrieb der Verliese größtenteils seinen Untergebenen überlassen, dennoch gab Cersei ihm die Schuld an Tyrions Flucht. Es war mein Werk, nicht seins, hätte Jaime beinahe zu ihr gesagt. Stattdessen hatte er ihr versprochen, herauszufinden, welche Antworten der Hauptunterkerkermeister, ein gebeugter alter Mann namens Rennifer Langwasser, geben konnte.
»Ich sehe schon, Ihr wundert Euch, was das für ein Name ist«, hatte der Mann zu plappern begonnen, als Jaime ihn befragte. »Ein alter Name, fürwahr. Ich bin keiner, der gern prahlt, doch in meinen Adern fließt königliches Blut. Schließlich stamme ich von einer Prinzessin ab. Mein Vater hat mir die Geschichte erzählt, als ich noch ein kleiner Junge war.« Langwasser war schon seit vielen Jahren kein kleiner Junge mehr, wenn man die vielen kahlen Stellen auf seinem Kopf und die weißen Haare an seinem Kinn betrachtete. »Sie war der schönste Schatz des Jungfrauengewölbes. Lord Eichenfaust, der große Admiral, hatte sein Herz an sie verloren, obwohl er mit einer anderen vermählt war. Sie gab ihrem Sohn den Bastardnamen ›Wasser‹, zu Ehren seines Vaters, und er wuchs heran und wurde ein großer Ritter, so wie auch sein Sohn, der das ›Lang‹ vor das ›Wasser‹ stellte, damit jeder sehen konnte, dass er selbst nicht von niedriger Geburt war. In mir steckt also ein kleiner Drache.«
»Ja, ich hätte Euch fast mit Aegon dem Eroberer verwechselt«, hatte Jaime geantwortet. »Wasser« war ein weit verbreiteter Name für Bastarde an der Schwarzwasser-Bucht; der alte Langwasser stammte vermutlich eher von einem niedrigen Hofritter als von einer Prinzessin ab. »Einerlei, ich habe dringendere Dinge mit
Weitere Kostenlose Bücher