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Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Titel: Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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zustrebte, einen gewaltigen Zylinder auf dem Kopf. Eine abgewetzte, aber düstere Erscheinung. Wenn das kein Zauberkundiger war, dann wusste sie es auch nicht. Als ihre Pfannkuchen und ihre Milch kamen, knurrte Anevays Magen so sehr, dass es ihr peinlich war. Langsam, aber doch mehr wie ein Wolf, schlang sie das Essen hinunter, während sie weiter die Gasse im Blick behielt. Die Blaubeeren zerrten an ihren Erinnerungen, doch A drängte sie zurück. Der Kakao war himmlisch.
    »Kann ich das abräumen, Sir?« Die Frage riss A aus ihrer Träumerei. Sie schaute auf. Ein Junge, ungefähr in ihrem Alter, blickte sie erstaunt an. Das Haar wild und wuschelig, schmal, aber schon mit breiten Schultern. Er stand lässig da, als könne er auch auf einer Stecknadel stehen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Dennoch war er schlaksig, kein Gegner für sie. Doch er hatte auch den pubertären Blick eines Jungen, der ein Mädchen auf hundert Schritt riechen konnte. Und er erkannte so gründlich die Territorie in ihr, dass sie ihn am liebsten mit der Gabel erstochen hätte. Warum er aber dabei wie ein Kasper grinste, das war ihr ein Rätsel. Die Frau hinter dem Tresen rettete die Situation.
    »Nathaniel, bringst du bitte die Kartons nach draußen! In ein paar Stunden kommt die Müllabfuhr.« Der Junge blinzelte verlegen, nahm den leeren Teller und ging.
    »Natürlich, Mrs Hanna.« A stand auf und war nur einen Augenblick später aus dem Diner. Vielleicht sollte sie sich ein neues Gesicht zulegen, die Haut pudern, irgendetwas, damit man sie nicht so schnell als das erkannte, was sie war.
    Sie ging zurück zum Theater, die Hunde waren ruhig, folgten ihr mit Blicken. Im Flur zur Stiege kam ihr der unheimliche Mann entgegen, er zählte Geldscheine. Als er sie bemerkte, steckte er sie schnell in seinen schäbigen Mantel. Eine schräge Nase hing unter dem Rand des Zylinders wie ein Felsvorsprung. A senkte den Kopf, so würde es wohl immer sein, den Kopf auf dem Boden.
    »N´Abend«, murmelte der Mann, als sie aneinander vorbei mussten. A brummte nur.
    Sie blieb eine Zeit lang auf den Stufen sitzen, lauschte dem Monolog eines Schauspielers, der tönend und voll war. Neugierig geworden folgte sie dem Klang. Gleich neben der Stiege, kaum zu sehen, war ein Vorhang aus Brokat, der eine schmale Tür verdeckte, auf der Bühnenaufgang stand. A öffnete so leise wie möglich die Tür. Kaum war sie einen Spalt offen, da waren die Sätze wesentlich lauter. Eine dunkle Faust ergriff ihren Arm und zog sie plötzlich hinein. A wollte protestieren, doch dann erkannte sie Dozer, der einen Finger vor die Lippen hielt. Sie entspannte sich. Sie waren seitlich der Bühne, auf die man von hier aus einen guten Blick hatte. Farbenprächtige Kostüme konnte man erkennen sowie Schauspieler, die sich unterhielten und auch sangen:
    (Ferdinand)
    Wo ist wohl die Musik? In der Luft? auf Erden? -
    Sie spielt nicht mehr: - sie dienet einem Gott
    Der Insel sicherlich. Ich saß am Strand
    Und weint' aufs neu' den König, meinen Vater,
    Da schlich sie zu mir über die Gewässer
    Und lindert' ihre Wut und meinen Schmerz
    Mit süßer Melodie; dann folgt' ich ihr,
    Sie zog vielmehr mich nach. Nun ist sie fort,
    Da hebt sie wieder an.
    (Ariel singt)
    Fünf Faden tief liegt Vater dein.
    Sein Gebein wird zu Korallen,
    Perlen sind die Augen sein.
    Nichts an ihm, das soll verfallen,
    Das nicht wandelt Meeres-Hut
    In ein reich und seltnes Gut.
    Nymphen läuten stündlich ihm,
    Da horch! ihr Glöcklein - Bim! bim! bim!
    (Ferdinand)
    Das Liedlein spricht von meinem toten Vater.
    Dies ist kein sterblich Tun; der Ton gehört
    Der Erde nicht: jetzt hör ich droben ihn.
    (Prospero)
    Zieh deiner Augen Fransen-Vorhang auf
    Und sag, was siehst du dort?
     
    (Miranda)
    O Himmel, wie's umherschaut! Glaubt mir, Vater
    's herrlich von Gestalt; doch ist's ein Geist.
    (Auszug aus William Shakespeare: Der Sturm)
     
    Anevay war fasziniert von der Sprache, sie warf fahles Licht in einen Teil ihrer selbst, der bisher nicht vorhanden schien. Ein Schauder lief über ihre Unterarme. Eine Weile blieb sie neben Dozer stehen, der mit vergnügten Augen zusah und stumm die Lippen zu den Dialogen bewegte. Ganz wie sie es damals bei den Filmen mit Leandra Vazan getan hatte. Sie mochte den Hünen immer mehr.
    A verabschiedete sich, sie war zu aufgewühlt, um noch länger zu warten. Mit schnellen Schritten lief sie durch die Gänge bis zu ihrem Zimmer im Nordturm. Bevor sie die Tür öffnete, versuchte sie sich

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