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Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Titel: Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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den Boden berührte.
    Anevay runzelte die Stirn, als jemand aus dem Waschraum neben ihnen kam. Es war Dimitri, Vokas älterer Bruder. Ein schmächtiges Männlein mit einer Halbglatze, eingefallenen Wangen und einer Vorliebe für süßen Tee und klassische Musik. Aber er hatte gütige Augen. Er trug immer einen leicht abgewetzten, dunkelblauen Anzug, egal ob er auf der kleinen Tribüne hockte und Kreuzworträtsel löste oder den Waschraum putzte, weil niemand sonst es tat. Immer sah er aus, als wolle er gleich zu einem Konzert gehen oder in den Park, Schach spielen. Zwei ungleichere Brüder hatte A noch nicht gesehen.
    »Lass Nove mit deinem schrägen Weltbild in Ruhe, Jojo. Hier im Haus der Schmerzen gibt es keine Hautfarbe, keine Herkunft. Das müsstest du langsam kapiert haben, oder?« Der Junge stapfte mit einem kleinlauten »Ja, Sir« davon. Er hatte einen ruhelosen, hüpfenden Gang, so als freue er sich über etwas, das nur er wusste. Ein seltsamer Bursche, fand Anevay.
    »Du stehst falsch.« A hob den Blick zu Dimitri.
    »Bitte?«
    »Du musst dein Gewicht besser verlagern beim Schlagen und den Fuß ein wenig eindrehen. Warte, ich zeige es dir.«
     
    Jede Nacht taten Anevay die Muskeln so weh, dass sie glaubte, nie wieder eine Bewegung machen zu können. Das, was Voka ihr beibrachte, war so völlig anders als die Übungen ihres Vaters. Hier lernte sie das Boxen von der Pike auf neu. Sie stand falsch, sie bewegte sich falsch, nichts machte sie richtig. Voka war so mitteilsam wie ein Ziegelstein. Er schubste sie, er schlug ihr auf jene Körperteile, die nicht korrekt ausgerichtet waren, so hatte sie immer wieder blaue Flecke, denn er schlug sie mit den eisenharten Knöcheln. Zuerst hatte sie wütend geknurrt, darüber, dass sie ihrem Lehrer nichts recht machen konnte, dann über sich selbst. Doch sie bemerkte auch hin und wieder so etwas wie Anerkennung. Dann, wenn Vokas Lippen sich zu einer schiefen Grimasse verzogen und sein einer Goldzahn kurz darin aufblitzte. Es war wohl seine Art zu sagen: Naja, geht doch.
    Kraft gab Anevay Roberts Brief. Jede Nacht las sie ihn, fasziniert davon, dass anscheinend Musik in dieser Magie mitgereist war, denn sie hörte immer wieder das gleiche Lied, ganz leise, als würde es in einem anderen Raum gespielt. Dann legte sie das Ohr auf die Zeilen und fühlte, wie sich ihr Herz beruhigte, aber ihr Bauch zu kribbeln begann.
    Doch werde ich einen Weg finden.
    Ich finde ihn.
    Es war Anevay nicht wichtig, warum ein Teil von ihr wie ein Band über den ganzen Ozean zu fliehen schien, als wolle er dort nach etwas suchen, das ihr so sehr fehlte. Niemals jemandem vertrauen zu können, laugte sie aus. A wollte eine Nähe, die sie nähren konnte, nicht eine, die wegnahm. Ihr wurde klar, dass sie immer nur umhergeirrt war, ihr ganzes Leben lang. Keine wirkliche Familie, kein Stamm, keine Zugehörigkeit. Wie die Windwölfe, die niemals zu rennen aufhörten. ›Doch wie lange konnte sie das durchhalten, ohne einen einzigen Hafen?‹
    ›Wer war der Mann auf der anderen Seite des Atlantiks? Wenn er ein Zauberer war, dann konnte er ihr vielleicht helfen einige Dinge zu verstehen. Warum wuchs ihr Zahn nach? Warum schien ihr gebrochenes Handgelenk stärker als je zuvor?‹ Und da war noch etwas: Sie war immer schnell gewesen, trotz ihrer Größe. Ihr Vater hatte das mit Genugtuung betrachtet, wenn sie ihn beim Laufen geschlagen hatte. Noch immer war sie schnell, doch war es eine andere Schnelligkeit. Anevay fühlte die Geschwindigkeit anders als früher. Sie war - wie sollte sie das nur ausdrücken? - plastischer, fast wie ein eigenständiger Teil von ihr, einem Arm gleich, der wie selbstverständlich an ihren Körper gehörte. Ja, so konnte man es sagen, es war wie ein neuer Körperteil, auch wenn sie ihn nicht sehen oder fühlen konnte. Aber er war da. Und wie er da war.
    ›Sollte sie Robert danach fragen?‹ Erst einmal nicht, entschloss sie sich. A würde abwarten, wie viel Vertrauen sie in die wirkliche Welt leiten konnte, denn bis jetzt erschien ihr das Ganze mehr wie ein Traum. ›Dann solltest du dich endlich mal hinsetzen und ihm antworten.‹
    Sie musste ihm die Wahrheit schreiben. Alles andere würde Zeitverschwendung sein. A wollte die Angst überspringen, wenigstens dieses eine Mal. Sie wusste, sie würde sonst daran zugrunde gehen, langsam zwar, aber unaufhörlich. Sie drückte den Kompass an sich, der nun zwei Namen verbarg. Den ihres Vaters und den eines Unbekannten. Als sie

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