Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)
gefiel ihm nicht, dass Caroline weiter durch Islands Höhlen krauchte. Irgendetwas war an diesem Winter, das ihm Angst machte. Es war, als hätte der Schnee die falsche Farbe. Robert schüttelte sachte den Kopf. ›Was für ein verrückter Gedanke war denn das nun wieder?‹
Dennoch, er fühlte, wie die Sorgen sich um ihn herum aufhäuften, eine Mauer bildeten, ein Gefängnis. All die Menschen dort draußen, was würde ihnen bevorstehen? Und dieser schale Geruch von einem nahenden Krieg, er verflüchtigte sich nicht, im Gegenteil. Hammaburg verhielt sich ruhig, doch für wie lange? Noch rodelten Kinder auf ihren Schlitten und die Jungen fochten wilde Schneeballschlachten aus. Die Jugendlichen hielten es dieser Tage für Mode, mit selbstgebastelten Atemmasken herumzulaufen. Die Stadt flimmerte, es fehlte nur noch die Zündflamme.
Das Restaurant war berstend voll, doch niemand setzte sich zu Robert, auch wenn einige die drei freien Plätze wehmütig beäugten. Doch wer wollte schon an einem Tisch mit einem Zauberer sitzen, der wirkte, als tüftle er gerade an besonders dunkler Magie.
Der junge Lord stocherte in seinem Essen, hatte ein Notizband neben sich liegen und blickte wie üblich aus dem großen Fenster in den Garten, grüblerisch, abwesend. Selbst Zoltan wagte sich nicht aus seiner Küche. In solchen Momenten, so flüsterte er seinen Untergebenen zu, da lasse man jemanden, der die Pfeiler der Könige möglich gemacht hatte, besser seine Ruhe. So versuchten die beiden verschüchterten Bedienungen sich mehr im Anschleichen als im Servieren.
Zurück in seinem Zimmer stand er unschlüssig da, als habe er vergessen, was er eigentlich wollte. Nur das Glimmen der letzten Scheite im Kamin erhellte den Salon. Es war Nacht geworden, roch nach kaltem Rauch.
»Kann ich noch etwas lesen, Lord?« Famkes Stimme war leise, sie erreichte ihn nur knapp. Er nickte, zog sich ins Schlafzimmer zurück, zog die Tür zu und wiederholte das dumm Dastehen. ›Was war mit ihm los?‹
Anevay.
Ihr Name war in seinem Kopf, wie ein Splitter, nein, wie eine Blüte. Denn der Name wuchs.
Robert legte sich aufs Bett, das Wappen des Kronprinzen war in den Baldachin darüber gewebt. ›Wieso war ihm das bisher nicht aufgefallen? Kein Wunder, dass er hier so schlecht schlief. Vielleicht sollte er das hässliche Ding herunterreißen, anzünden und vom Balkon werfen?‹ Er ließ den Kopf auf das plüschige Kissen sinken.
Anevay.
›Was ist dein Problem?‹, dachte er. ›Was rumort da in dir?‹ ›Mach so weiter und du endest wie Blasius Winkelstein. Schreiend in einer Zelle aus feinstem Gummi.‹
Doch es war nicht nur ihr Name, es war auch jener, den die Zeitungen ihm gegeben hatten. The Night Captain.
Namen hatten ein ungeheures Gewicht. ›Er trug schon den der Humberstones mit sich herum, sollte er sich da mit einem zweiten auch noch den restlichen Tag verderben?‹
Robert warf die Decke über seine Schultern, nahm eine Kerze, den Notizband und trat auf den Balkon hinaus. Die Stille der Nacht wirkte durch die lautlosen Schneeflocken noch einsamer. Er hockte sich in eine Ecke auf den Boden, nahm einen Zigarillo hervor, entzündete ihn an der Kerzenflamme und paffte nachdenklich. Poe schlüpfte aus dem Ärmel, krabbelte, einen beweglichen Hubbel hinterlassend, unter der Decke hindurch und setzte sich dann auf das angewinkelte Knie des Lords. Die Luft roch nach Winter und gedämpfter Dunkelheit.
Robert begann zu zeichnen. Vage Striche, ohne Ziel. Ein gewagter Schwung hier, eine versteckte Lücke dort. Durchdrungen von Worten, die einen noch nicht gesprochenen Zauber auf eine neue Reise schickten.
Er legte den Füllfederhalter nieder.
Sie antwortet heute Nacht nicht mehr. So simpel war das. Ja, er hatte es sehnlichst erwartet, eben weil er sich so furchtbar einsam fühlte. Er hatte darauf gehofft. Doch Hoffnung war etwas für Menschen, die nicht begriffen, dass das Leben dieses Wort nicht benutzte. Als er gerade das Labyrinth zusammenfalten wollte, schimmerte der Bernstein darin, hob sich plötzlich die Haube über den inneren Kreis, umschloss diesen und ließ einen Zettel zurück. Roberts Herz schlug schneller, raste. Er riss den Brief heraus, las:
Ich bin Anevay,
ist dies mein Name oder ist er eine Lüge? Ich kann es dir nicht sagen, Robert, denn ich weiß es nicht.
Kennst du das? Du willst die Wahrheit sagen und sofort formen sich Mauern um dich herum, die genau dies verhindern wollen. So fühle ich mich in jeder einzelnen
Weitere Kostenlose Bücher