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Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Titel: Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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alles, was sie geben konnte, musste. Irgendetwas war mit diesen Briefen mitgereist, erklären konnte sie es nicht. Sie las die Worte wieder und wieder.
    Ich musste dir das schreiben.
    Verzeih mir.
    Sie verzieh ihm, bevor er das geschrieben hatte. Anevays Finger strichen über die Tinte. Sie war sein und er wusste es nicht. ›Sollte sie es ihm sagen?‹
    Ein leicht rumorender Teil in ihr fragte, ob sie überhaupt verstanden hatte, was da geschrieben stand. Er hatte einen Mann getötet! Doch seit A aus dem Auto ihres Vaters gesprungen war, hatte sich ihre Welt verändert. Sie war dunkler geworden, gefährlicher. Und nachdem dieser verrückte Doktor in Fallen Angels ihr ein Skalpell durchs Auge hatte stechen wollen, war etwas in Anevay passiert. Sie konnte nicht den Finger drauflegen oder es beschreiben, aber es war da.
    All die Geschehnisse hatten sie härter gemacht, zäher, vielleicht ebenfalls gefährlich. ›Könnte sie einen Mann töten? Fingermann? Sweeny? LaRue?‹ Ja, sie könnte es, zumindest sagte ihr das ein vages Gefühl. Eines, das man niemandem zeigte, weil es abstoßend und falsch schien, es zuzugeben. Sie kannte die Umstände nicht, die hatte Robert nicht beschrieben. Vielleicht hatte er sich verteidigen müssen oder es war ein Unfall gewesen. Doch eines hatte sie in den wenigen Worten erkannt: Es hatte ihn aus der Bahn geworfen, es hatte eine Art Endgültigkeit in ihm hinterlassen, einen Weg, von dem es kein Zurück mehr gab. Jetzt gehört er für immer mir.
    Das war eine bittere Erkenntnis, aber auch eine, die nötig zu sein schien. Da war aber noch mehr. Er hatte es so geschrieben, als hätte er niemanden auf der ganzen Welt, dem er das anvertrauen wollte, aber sagen musste er es jemanden, damit sein Herz nicht zersprang.
    Das war sie. Ihr hatte er sein Herz anvertraut.
    Plötzlich spürte sie eine wilde Nähe zu ihm. Ein unbändiges Verlangen ihn zu sehen, zu riechen. Die Sehnsucht danach, sich nicht völlig allein durch diese Welt kämpfen zu müssen. ›Einen Zauberer an ihrer Seite, ach, wie genial wäre das!‹
    Ein Bild musste her! Anevay hatte zeichnen gelernt, kaum dass sie einen Bleistift hatte halten können. Sie stellte die Kerze neben das Fenster, sah sich an. Lange. Schweigend. Die Spiegelung zeigte ein verschwörerisches Gesicht. Dann, mit wenigen Strichen, umriss sie eine Skizze. Es war nur der Kopf, die Haare, eine Augenbraue, ein verlorenes Ich. Zu allem bereit mitsamt den Taten. Keine Zeit für echte Ausarbeitung, allerdings hatte sie ihr Haar so gezeichnet, wie es vor Fallen Angels gewesen war. Sie legte das Bild in das Labyrinth, die Haube schloss sich darum, der Brief ging fort. Sie blieb davor sitzen, wartend. Was konnte sie sonst tun? Sie biss die Zähne aufeinander, verzog die Stirn, es war allemal besser als gar nichts. Hoffte sie. Ihre Worte klangen immer so klein, wenn sie sie aufschreiben wollte, seine dagegen waren riesig. Zauberer dachten in Bildern, dies merkte man seinen Worten an.
    Das Labyrinth blieb leer. Auch am Morgen, Mittag, Nachmittag, Abend und in der Nacht darauf.
    Es sollte noch schlimmer kommen. ›Aber wie hatte man sie erst kürzlich genannt? Ein zähes Miststück.‹
    Von nun an bekam sie Unterricht von Voka. Ein russischer Bastard, gebaut wie ein Brückenpfeiler und ebenso hart. Von ihm lernte A den Schmerz nicht zu respektieren - das war etwas für Poeten - sondern ihn zu verachten. Seine wenigen und abgehackt genuschelten Worte fielen auf wartenden Boden. Das höchste Lob, das er zu vergeben hatte, war ein kurzes Aufblitzen seines Goldzahns, wenn er die Lippen zu einem halbherzigen Grinsen verzog, dass einem angst und bange wurde. Ansonsten war Voka so schweigsam wie ein sibirisches Gebirgsmassiv.
    Er brachte Anevay bei, dreckig zu kämpfen.
    »Du beenden schnell, nix tanzen dabei!« Seine Stimme hart wie Eisen, seine grauen Augen mitleidlos.
    Einmal packte er sie an den Hüften und schüttelte sie durch wie einen toten Tundrahasen.
    »Alle Bewegung dort!« Er stierte sie an. » Da? «
    Anevay kullerten sämtliche Knochen im Leib herum, doch sie nickte mit zusammengebissenen Zähnen. Diese Frage kam immer nur einmal: › Da? ‹ Das russische Wort für Ja . Und es gab nur eine mögliche Antwort drauf. Egal ob er ihr gerade die Halswirbel verschob oder ihr eine äußerst unangenehme Überdehnung der unteren Gliedmaßen zeigte. Am Ende ihres keuchenden Schreis hieß es: » Da? « Und A nickte: »Ja!« Erst wenn sich Voka scheinbar zufrieden umdrehte,

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