Das Limonenhaus
lachte.
Maledetto, plötzlich schien er keine Spur mehr bedroht oder eingeschüchtert, sondern bestens gelaunt.
»Also. Ich erkläre es dir.« Sein Ton bekam etwas Großväterliches. »Solltest du die Entführung anzeigen und gegen die Familie LaMacchia klagen, vergeht einfach zu viel Zeit. Es kann Monate dauern, bis eine Entscheidung bei Gericht gefällt wird.« Irgendetwas klingelte in seiner Hose.
»Und?«, fragte er und nestelte dabei an dem Sprechgerät herum, das sich wie eine silberne Kakerlake an sein Ohr klammerte. »Denkst du manchmal nicht doch an früher?« Er schaffte es, gleichzeitig über meine Hand zu streicheln und »Jetzt nicht!« in sein Headset zu knurren. »Ich werde mir vielleicht doch die Nase richten lassen, was meinst du?!«
Das war nicht sein Ernst, oder? Nein, stöhnte ich unhörbar, ich ertrage ihn nicht, ich halte seine Nähe nicht aus. Nach der »ordentlichen Heirat« hätte ich ihn jeden Tag um mich. Wie sollte ich das aushalten?
Er zeigte auf sein Handy und erklärte: »Entschuldige, dass wir unterbrochen wurden. Das hier ist meine neueste Errungenschaft. Guck, ich kann meine Mails abrufen, natürlich auch selber welche schreiben und gleichzeitig Musik
hören oder...« Claudio drückte ein paar Knöpfe. »... die Börsenkurse abrufen. Fabelhaft, nicht?!«
»Seit wann interessieren dich Börsenkurse?«
»Ich bin da so ein bisschen dran, Aktien, Immobilien und so. Da geht immer was. Was ist eigentlich mit deiner Immobilie, willst du die verkaufen? Soll ich mich mal umhören? Man könnte das Limonenhaus an irgendeinen verrückten Deutschen veräußern. An einen Deutschen oder an die Engländer, die kaufen ja auch alles. Absolut alles kaufen die, jeden Schrotthaufen.«
»Wieso verkaufen, es gehört ja gar nicht mir, sondern meiner Mutter.« Wie kam er jetzt überhaupt auf das Haus? »Claudio«, brachte ich hervor, »ich sehe immerzu Matildes verstörtes Gesichtchen vor mir. Sie wird traurig sein und nicht verstehen, warum ich plötzlich nicht mehr da bin. Wir müssen herausfinden, wo sie ist, wo sie mit ihr hingefahren sein könnten. Wir sollten losgehen, die Wohnung beobachten. Wir müssen irgendetwas tun!« Mein Ton hatte etwas Bettelndes.
»Schritt für Schritt, Lella! Du musst mir das da erst mal unterschreiben, wir müssen heiraten, und wir brauchen Geld.«
»Warum Geld, wenn wir noch nicht einmal nachgeschaut haben, ob Matilde nicht doch bei Teresa in ihrem Kinderzimmer sitzt?«
»Nachgeschaut haben, nachgeschaut haben, als ob das so einfach wäre! Verlass dich auf mich, vertrau mir doch einmal! Einmal nur! Du ahnst nicht, wie kompliziert das hier ist. Selbstverständlich brauchen wir Geld. Vielleicht können wir sie bestechen, bei Geld werden die meisten schwach. Um heiraten zu können, brauchen wir auch deine Geburtsurkunde,
aber die können wir nachreichen. Ich fädele das alles gerade ein. Mein Vater ist mit dem Vater des Jugendamtleiters zur Schule gegangen, deswegen konnte ich heute Morgen auch sofort die Akten einsehen. Grazias Mutter, Teresa LaMacchia, immerhin eine geborene LoConte, wusstest du das?, hat schon vor zwei Jahren das vorläufige Sorgerecht bekommen, weil Grazia in der Anstalt war. Du entschuldigst mich, ich muss jetzt gleich wieder los, muss einen weiteren Menschen treffen, der für uns sehr einflussreich sein könnte. Wirklich sehr einflussreich!«
Ich schüttelte stumm den Kopf.
»Ach, Lella, warum denn nun wieder so starrsinnig?« Claudio schaute mich an wie ein gutmütiger Lehrer, dem es leidtut, seine Schülerin zur Ordnung rufen zu müssen. Er kam mir mit seinem Gesicht ganz nah.
»Ohne deine Hilfe geht es nicht! Ein Papier vom Gericht wird außerdem auch gar keinen Einfluss auf Teresa haben.« Aus seinem Mund kam ein Geruch, der mich an alten Tütenparmesan erinnerte. »Sie werden Matilde trotzdem nicht herausgeben«, fuhr er fort. »Ich werde mein Möglichstes tun, aber ich habe schon von Fällen gehört, in denen das Kind jahrelang, jahrelang, sage ich, von der Familie versteckt gehalten wurde! Du wirst Matildes kleines Gesicht vielleicht niemals wiedersehen, wenn wir uns jetzt Zeit lassen.«
Ich schwieg lange. Claudio hielt dagegen. »Also«, sagte ich dann in die Stille, »wo soll ich unterschreiben?«
Ratlos stand ich wenig später auf der Straße vor der Kanzlei. Wohin nun? Sollte ich mir auf den Fluren vor irgendwelchen Amtszimmern vor Nervosität den Handrücken zerbeißen? Gerade hatte ich Claudio eine Vollmacht
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