Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
Vom Netzwerk:
auseinandergewalztes Dorf voller Neid und Schadenfreude, Schafställen und Staub, in dem Cousins seit Jahrhunderten schon ihre Cousinen heiraten.«

    Ich blieb stehen, versteckte mich hinter der Schwingtür und hielt den Atem an. Zum ersten Mal erzählte unser Vater etwas von seiner Heimatstadt.
    »Such dir ein anderes Mädchen! An der einen Stelle sind sie alle gleich, es gibt Tausende von dieser...« Er stockte, ich hatte mich vorgeschoben, er konnte mich nun im Türrahmen stehen sehen. »... von dieser Sorte. Glaub mir, dein Vater weiß das!« Seine Augen wurden noch schmaler, und er machte einen Schritt auf Leonardo zu, der seine Arme vor der Brust verschränkte, aber nicht zurückwich.
    »Was für eine Sorte? Was für eine Sorte ist sie denn? Du kennst sie ja nicht einmal!«
    »Das braucht dich nicht zu interessieren.« Die weit auseinanderstehenden Augen meines Vaters schauten verächtlich an Leonardo auf und ab, dann schleuderte er ihm seinen letzten Satz entgegen: »Nur eins noch: Wenn du die heiratest, bist du nicht mehr mein Sohn.« Er ging aus der Küche, ohne mich anzuschauen.
    Noch am selben Nachmittag flog Leonardo zurück nach Palermo.
    »Es tut mir leid, kümmere dich bitte um Mamma!«, sagte er mir zum Abschied und strich mir über die Haare. »Ich hätte vorher mit dir reden sollen. Ich schreibe dir, versprochen.«
    Ich nickte nur.
     
    Während ich zu dem gemarterten Jesus hinaufschaute, der sich links neben mir in einem Glaskasten aufzurichten versuchte und dessen Hand- und Fußgelenke sehr anschaulich mit Blut verkrustet waren, erinnerte mich ein knurrender Laut aus meinem Innersten daran, dass ich seit dem trockenen
Käsebrötchen im Flugzeug nichts mehr gegessen hatte.
    Leonardo hatte Grazia schon zwei Monate später geheiratet. Eine LaMacchia!
    Meinen Eltern hatte ich erzählt, ich sei auf die Hochzeit einer Schulfreundin eingeladen. Weit weg, in Bayern, und erst in drei Tagen wieder zurück. Stattdessen flog ich das erste Mal in meinem Leben nach Sizilien, zu Leonardo.
    Grazia war kurz vor der Trauung nervös. Wir saßen, nein, man kann schon sagen, wir versteckten uns im fensterlosen Hinterzimmer einer Bar in Santa Flavia und warteten auf Leonardo. Grazia erzählte mir von dem Versuch, ihre Eltern auf Leonardo vorzubereiten. Währenddessen hackte sie mit ihrem Espressolöffel angestrengt in der leeren Tasse herum, als ob sie etwas Hartes zerkleinern müsste.
    »›Ich bringe nächsten Samstag jemanden mit‹, habe ich zu Hause erzählt. Da tauschten sie Blicke und fragten sich, wie hat sie das denn geschafft?«, begann Grazia leise. »Die haben mich doch immer überall abgeholt oder einen von meinen Brüdern geschickt. Papa war still, aber er freute sich für mich, das konnte ich spüren, obwohl ich mich nicht traute, ihn anzuschauen. Mein Bruder Domenico wollte wissen, wo ich ihn kennengelernt habe. Und ich antwortete: ›Er verdient gut, er arbeitet in Palermo, im Sirena.‹ Mamma fragte natürlich: ›Ist schon etwas passiert, was nicht passieren darf?‹ Da ahnte ich immer noch nichts. ›Mamma!‹, habe ich ganz empört gesagt. ›Was redest du da!‹ ›Dann bring ihn eben mit!‹, meinte Papa - und dann nenn’ ich seinen Namen, und sie fragen nach den Namen seiner Eltern, und plötzlich bezeichnet Mamma mich als eine Nutte, die in Palermo herumspaziert und für den ersten Tellerwäscher die
Beine breit macht! Meine Brüder reden durcheinander und wollen wissen, wo er wohnt, damit sie ihn umbringen können, und Papa... der hat plötzlich geweint. Mein Vater! Ganz still. Und dann ging er weg.«
    Grazia weinte dann auch und erzählte, ihr Vater Gaetano habe sich sogar mehrmals betrunken, er trinke sonst nie, und eine Woche seine eigene pasticceria nicht mehr betreten. Ihre Mutter und ihre drei Brüder sprächen nicht mehr mit ihr. Das könne sie aushalten, aber dass auch ihr Vater schweige, das schneide ein Loch in ihre Seele. Genauso hatte sie sich ausgedrückt.
    Da eine Braut kurz vor der Trauung nicht weinen soll, habe ich sie in den Arm genommen und ihr ins Ohr geflüstert: »Er ist mein Bruder, und gleich wird er dein Mann. Er wird dich beschützen. Ihr werdet ein glückliches Leben haben, nur ihr zwei. Zum Teufel mit unseren idiotischen Familien!« Sie zuckte zusammen und bekreuzigte sich. Wegen dem Teufel wahrscheinlich. Sie weinte weiter, und wir mussten uns die Toilette aufschließen lassen, wo es mir vor dem Minispiegel gelang, Grazias verschmiertes Augen-Make-up wieder

Weitere Kostenlose Bücher