Das Limonenhaus
hatte, war kaputtgegangen. Unser Vater saß auf einem Hocker, trank Espresso und blätterte nach Sonderangeboten bei Aldi. Leonardo umarmte Mamma, die gluckste wie eine ganze Schulklasse junger Mädchen. Er zwickte mich in die Seite. Ich schlug lasch nach ihm, ich wollte nicht nett zu ihm sein.
»Mamma, weißt du noch, als kleiner Junge wollte ich dich immer heiraten.«
»Si!«, antwortete sie mit seltsam klarer Stimme, und ich hielt die Luft an, denn ich wusste plötzlich, was jetzt kommen würde.
»Mamma! Papa! Ich werde heiraten! Also, das heißt, ich wollte euch fragen, ob ihr mir die benedizione gebt.« Er rieb sich die Stirn und setzte gleich darauf hinzu: »Ist ja irgendwie albern, aber ich merke, es ist mir schon wichtig, dass ihr einverstanden seid, also, wenn ihr meine zukünftige Frau... So macht man das doch, oder?«
Meine Knie fingen an zu zittern.
»Wenn die Liebe anklopft, dann lass sie nicht draußen stehen«, sang mein Vater laut und falsch in sizilianischem Dialekt. Er stand auf und haute Leonardo auf die Schulter.
»Ja ja, ist gut, Papa!« Mein Bruder nickte Mamma beruhigend zu. »Ich möchte sie euch ganz bald vorstellen. Sie ist von da, wo ihr herkommt.«
Mamma Maria schluckte mühsam, ihre Blicke huschten zwischen ihrer Hand und der Tür zum Hof hin und her, als ob sie mit dem Rührbesen fliehen wollte.
»Wer ist sie denn?«, fragte ich, als niemand mehr etwas sagte.
»Gemellina!« Er schaute auf, als hätte er mich erst jetzt bemerkt. »Sie ist ein wunderschönes, kluges Mädchen, und sie malt.«
Ich sah vor meinem inneren Auge eine zarte Person mit wilden schwarzen Locken in einem farbbespritzten Overall, die riesige Leinwände mit einem Besen, grüner Farbe und einer großen Portion Selbstbewusstsein bearbeitete.
»Was für ein Zufall, dass sie aus eurer Stadt kommt, nicht?«, wandte sich Leonardo nun wieder an unsere Eltern. Die beiden schwiegen und schauten auf ihren Sohn.
»... und ich liebe sie!«
Mamma Maria schwankte, ich packte sie am Ellenbogen, um sie zu stützen. Meine Eltern sahen sich an.
Ich weiß, das ist im Nachhinein immer einfach zu sagen, aber in diesem Moment, als meine Eltern, die sich sonst nie anschauten, ihre Blicke ineinanderbohrten, ahnte ich, dass mit Leonardo auf Sizilien etwas Fürchterliches geschehen würde.
Sogar in den Augen meines Vaters konnte ich die Angst vor Leonardos nächsten Worten aufflammen sehen. Etwas hatte sich dort auf dieser Insel zugetragen. Seit sie vor zweiunddreißig Jahren aus ihrer Heimat fortgegangen waren, waren sie kein einziges Mal mehr zurückgekehrt.
»Bleib doch hier«, sagte ich leise zu ihm, »gehe nicht nach... dahin!«
Doch Leonardo steckte nur seine linke Hand in die Hosentasche und schaute in meine Rührschüssel. Mit dem rechten kleinen Finger stippte er in die Masse, schüttelte den überschüssigen Rest so flüchtig und doch aufmerksam ab, wie nur Köche es können, und probierte.
»Mascarponeschaum! Du hast daran gedacht, Puderzucker
zu nehmen. Gut. Muss aber noch länger geschlagen werden.« Ich nickte automatisch.
»Von wo kommt sie genau? Kommt ihre Familie aus Bagheria?«, knurrte mein Vater.
»Ja. Mir gefällt Bagheria. Wie aufwendig sie dort die barocken Villen restauriert haben, alle Achtung. Die Villa Cutö war früher anscheinend total verfallen, jetzt sind eine Bibliothek und ein Teil der Universität dort eingerichtet.«
Niemand sprach. In der Küche war es still wie in einer verlassenen Kirche. Einige Sekunden starrten wir Leonardo nur an.
»Also, sie heißt jedenfalls Grazia. Grazia LaMacchia.«
Da begann Mamma zu schreien und hörte erst auf, als der Arzt ihr eine Dreiviertelstunde später ein Beruhigungsmittel spritzte.
»Eine alte Geschichte. Sie werden dir nur Lügen erzählen, lügen, das ist das, was sie können«, brüllte Papa, der, während der Arzt Mamma untersuchte, in den Keller gelaufen war und dort unten irgendwas zerschlagen hatte. Wir konnten ihn bis ins Schlafzimmer im ersten Stock poltern hören.
»Worüber werden sie mir Lügen erzählen?«
»Lügen eben. Und jetzt hör zu, ich mache es kurz.« Mein Vater stand breitbeinig vor dem Herd, er nahm eine Fleischgabel vom Haken und bohrte die langen Zinken in seine eigene Handfläche. Ich hatte auf einmal Angst vor ihm.
»Du kapierst nicht, in was für einem Haufen Scheiße du da rührst. Die wollen eine Stadt sein? Universität, seit wann haben die da was von der Universität?! Bagheria ist immer noch ein
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