Das Limonenhaus
Salina.
Phils Gesicht war bleich. »Das mache ich schon«, versicherte er, hängte sich die Fototasche quer über den Bauch, klemmte sich das schwer aussehende Stativ unter den Arm und nahm einen Koffer in jede Hand. Dann zog er ratternd über die Gitter davon.
»Komm, Schätzchen«, sagte ich auf Italienisch zu Matilde, packte Proviantkorb, Hasenkoffer und Leonardos alte Tasche und marschierte hinter ihm her.
Er guckte sich nicht mal um, es war ihm anscheinend ganz egal, ob wir ihm folgten. Ich hatte mich geirrt, Phil machte keine Witze mit mir wie Leonardo. Er war ein humorloser Ignorant, den ich bis übermorgen über die Insel schleppen durfte. Na und? Das würde ich auch noch schaffen. Im Zug hatte ich mir eine Strategie zurechtgelegt, an die ich mich ab jetzt halten wollte: Ich würde nur über das nachdenken,
was für den Moment nötig und nützlich war, und ein Schritt nach dem anderen tun. Wir brauchten ein Hotel oder eine Pension und etwas zu essen. Matilde benötigte warmes Wasser zum Waschen, ein gemütliches Bett und eine dieser für Kinder so wertvollen Gutenachtgeschichten. Mehr nicht. Über den Rest würde ich mir später den Kopf zerbrechen.
Ich schaute im Gehen die tiefgrünen Berghänge hinauf, ein paar Pinien, gelbe Ginsterflecken, Büsche und Unterholz, wenige Häuser dazwischen. Überall blühte es friedlich vor sich hin, und wenn ich mich Richtung Meer drehte, konnte ich Lipari aus dem Wasser ragen sehen. Die Wellen klatschten an der Mauer des Hafenbeckens hoch, obwohl nur ein leichter, lauwarmer Wind ging. Wir waren die Letzten, die über die Mole gezockelt kamen. Schließlich holten wir Phil ein. Der stämmige Typ, der vor einem blauen Kleinbus am Ende der Mole stand, winkte mich ungeduldig herbei.
»Aber das ist ein Freund von dir«, raunte Phil mir zu. Nein, so funktionierte es nicht, er würde mich nicht noch einmal zum Lächeln bringen.
»Fahren Sie nach Malfa?«
»Si si, steigt schon mal ein!« Der Busfahrer verstaute unser Gepäck hinter den Klappen im Bauch des Busses, schwang sich auf seinen Fahrersitz und stellte die Musik lauter. Dann drehte er sich um, kniff Matilde, die den richtigen Moment verpasste, um sich unter seinen wurstigen Fingern rechtzeitig wegzuducken, zart in die Wange, und schon ging es los, die ansteigenden Straßen der Insel hinauf. Unterwegs, an einer Weggabelung, hielt er noch einmal, um einen alten Mann aufzunehmen.
»Adolfo! Ti annoi?!« Der Alte ließ offen, ob er Langeweile hatte oder nicht. Bedächtig kletterte er auf wackligen Beinchen wie eine aufgerichtete Schildkröte die zwei Stufen in den Bus hinein. Mit eingefallenen Wangen und erwartungsvollem Blick musterte er uns, die Kleinfamilie auf den vorderen Plätzen, um sich direkt dahinter niederzulassen.
»Die Alten fahren mit mir herum, wenn sie nichts zu tun haben«, meldete sich der Busfahrer. »Stimmt doch, Adolfo?«
Adolfo schnalzte vom Rücksitz nur mit der Zunge.
»Die Alten fahren gerne mit mir, und natürlich die forestieri , Leute von außerhalb, so wie ihr. In der Saison, Juni, Juli, August, da haben wir zu tun. Stimmt doch, Adolfo? Da kommen sie alle, wollen unser wunderschönes Salina besuchen.«
Ich blickte kurz zu Phil hinüber. Wozu sollte ich ihm das übersetzen, es ging ihm alles doch nur auf die Nerven. Lieber betrachtete ich heimlich seine Nase. Eine hübsche Nase, nicht zu groß und nicht zu klein. Männern mit zarten, kurzen Nasen fehlte etwas im Gesicht. Er konnte mit seiner hübschen Nase allerdings nichts anfangen. Wie eigenartig, ich kannte niemand sonst, der nicht riechen konnte. Frische Bettwäsche fiel mir ein, der himmlische Karamellgeruch überbackener crema catalana oder zum Beispiel das Parfüm, das ich auf dem Flughafen ausprobiert hatte und dessen Duft ich angenehm fruchtig an meinen Handgelenken erschnüffeln konnte. Für ihn bedeutete das nichts, unfassbar!
»Aber bevor du jetzt auf die Idee kommst, du könntest mir helfen, nein, das kannst du nicht, alles ist gut. Ich komme mit meinen Problemen alleine klar...«, hatte er gesagt. Stimmte vielleicht sonst noch etwas nicht mit ihm? Mit seinem
Körper? Der sah eigentlich ziemlich vollkommen aus. Kein Bauchansatz, schmale Hüften, lange Beine und...
»Conoscete la musica?«, riss mich der gemütliche Busfahrer aus meinen Gedanken. Ich nickte, ich kannte die Musik. Bandoneon, Klavier und einige Streicher verwoben sich zu einer Melodie, die perfekt zu den Kurven passte, durch die der Busfahrer seinen Wagen
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