Das Limonenhaus
Brötchen, eine Flasche Wasser und zweimal Espresso. Matilde trug endlich das rote Sommerkleid, das ich ihr vor einem Jahr geschickt hatte. Sie baumelte aufgeregt mit den Beinen und beäugte misstrauisch Alfredos großen Hund, der neben ihr auf einem Stuhl lag, die Pfoten ins Leere hängen ließ und ab und zu seine blaue Zunge zeigte.
»Der Hund ist bestimmt traurig, weil er so eine blaue Zunge hat.« Nachdem ich ihr versichert hatte, dass der Hund weder traurig noch krank war, noch etwas Böses gemacht hatte, wollte sie ihn streicheln.
Kelchförmige Gläser wurden auf Untertassen serviert, dunkelviolett leuchtete darin die granita aus Maulbeeren, weiß schimmerte die aus Mandeln, sonnengelb die der Feigenkaktee. Das süße Brötchen sah aus wie eine weibliche Brust. Nach einem Seitenblick zu mir griff Matilde danach. Ich nickte, erst dann hieb sie ihre Zähne hinein. Mit einem Bart aus Puderzucker, der an ihrem Mund und ihrer Nase hing, tauchte sie wieder daraus auf. Wir schauten sie an und lachten alle drei los. Dann löffelten wir unsere halbgefrorenen granite. Phil fotografierte uns und den Hund, und als er für Matilde Faxen mit seinem Löffel machte, glaubte ich einen Moment lang, den kleinen dicken Jungen inmitten der Rübenfelder in seinen Augen zu entdecken. Ich sah ihn mit seinem Witzbuch einsam vor dem Sofa stehen, auf dem seine schlafende Mutter lag, die ein selbst geschneidertes Kostüm und grob gestrickte Socken aus Schafswolle an den Füßen trug.
Ich hatte wenigstens Leonardo, dachte ich und wischte Matildes Mund sanft mit einer Serviette ab. Stimmt doch,
Leonardo?, versuchte ich zögernd eine Konversation zu beginnen. Seit wir auf Salina waren, hatte ich kaum mehr mit meinem Bruder geredet. Er gab mir keine Antwort, doch es war ein ruhiges, freundliches Nicht-Antworten. Er war noch da, das wusste ich, aber er schaute von weiter oben zu. Ich lehnte mich zurück. Wir brauchten die Wörter nicht mehr.
Phil goss mir ein weiteres Glas Wasser ein, wir stießen feierlich mit Matilde an. Dann fragte er, ob sie sich auf die Mauer neben die Laterne setzen wolle, damit er auch dort ein Foto von ihr machen könne. Ich übersetzte ihr die Frage, und schon lief sie davon, ohne noch einmal zurückzuschauen. Ich verspannte mich, was Phil sofort bemerkte. »Von hier aus sehen wir sie doch«, sagte er.
Natürlich hatte er recht. Rot leuchtete Matildes Tuch, das ich ihr um den Kopf geschlungen hatte, zu uns herüber.
Phil nahm den leeren Granita- Kelch in die Hand. »Schade, dass es in Deutschland keine Maulbeergranita gibt!«
»Was ist eigentlich aus dem Ast geworden? Hat Brigida ihn bekommen?« Meine Scheu vor dem Namen war über Nacht verschwunden.
»Ich weiß nicht.«
»Hast du nicht mehr mit ihr telefoniert?«
»Nein.« Er starrte auf seine Kamera, während er murmelte: »Ich lasse sie manchmal gern im Ungewissen.«
»Warum?«
»Das macht die Sache spannender.«
Ob er bemerkt hatte, dass er nach jedem Satz seufzte?
»Nichtsdestoweniger denke ich daran, an einem der nächsten Tage wieder zurückzukehren. Der Auftrag scheint nicht mehr zu bestehen. Signor Pappalardo und der mysteriöse
deutsche Villenbesitzer sind plötzlich nicht mehr zu erreichen. Vielleicht gibt es diese Villa überhaupt nicht.«
»Was sagt Brigida? Musst du ihr nicht in der Agentur helfen?«, fragte ich.
Er grinste, wurde aber gleich wieder ernst. »Ihr helfen? Nein! Das macht sie alles übers Internet. Sie ist der Boss, und keiner von den anderen Fotografen braucht zu wissen, dass wir...« Er hielt inne, als meine Augen die seinen trafen. Er schüttelte den Kopf, bekam das Wort »zusammen« nicht über die Lippen, »... dass wir...«, er konnte den Satz nicht beenden. »Ich wohne ja vorwiegend bei ihr, gehe nur noch ab und zu in meine Wohngemeinschaft, um die Post durchzuschauen. Sie findet es unprofessionell. Keiner soll behaupten können, sie würde mir die Aufträge zuschieben, nur weil wir zusammen sind. Was sie natürlich macht. Ich sage ihr nur nicht, dass ich das mittlerweile auch alleine schaffen würde. Heiermann hat in seinem Studio eigentlich immer etwas für mich.«
»Wie habt ihr euch kennengelernt?«
»Bitte?« Er schaute auf.
»Brigida und du.«
»Ähh, in einer Umkleidekabine. Wieso möchtest du das jetzt gerade wissen?«
Weil ich eine dumme Kuh bin, die den Nachmittag zerstört, stöhnte ich lautlos. »Pure Neugier!«
»Wenn du es unbedingt hören möchtest, in einem großen Modehaus in Düsseldorf.
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