Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
Vom Netzwerk:
uns ablenken konnte. Auf einmal nahm er meine Hand und hielt sie fest.
    Er wird nie mehr meine Hand halten, fuhr mir durch den Kopf, er wird zurückfahren. Ab morgen bin ich mit Matilde allein. Ich spürte, dass die Brüder und Teresa näher an mich heranrückten. Wir tauchten langsam aus der Versenkung auf, stiegen wieder hoch in ihre Welt. Ich sah ihn an und fragte: »Am ersten Abend wolltest du wissen, ob ich Angst vor den drei Brüdern habe, erinnerst du dich noch?«
    »Natürlich.«
    »Und weißt du auch noch, dass ich geantwortet habe, dass ich mich auf der Insel merkwürdigerweise sicher fühle? Als ob wir uns gar nicht mehr in deren Welt befänden, als ob sie Matilde und mich vergessen hätten?«

    »Ja, das weiß ich auch noch.« Während er dies sagte, ließ er leider meine Hand los.
    »Heute Nachmittag, als du nach Zug- und Fährverbindungen geschaut hast, ist mir das erste Mal klar geworden, dass ich mit Matilde ab morgen alleine hier sein werde. Und plötzlich frage ich mich, worüber ich in den letzten drei, vier Tagen überhaupt nachgedacht habe. Und ich kenne auch die Antwort: Über nichts habe ich nachgedacht. Ich war völlig sorgenfrei, habe keine Sekunde ernsthaft überlegt, wo ich mit Matilde eigentlich bleiben soll, wie ich ohne ihre Papiere nach Deutschland gelangen kann, wo ich arbeiten könnte, wie das alles laufen soll. Und das ist nur deine Schuld.« Die Schwierigkeiten, die ich ihm gerade beschrieben hatte, brachen wie ein kalter Hagelschauer über mich herein. Leise fuhr ich fort: »Und ich wollte dir danken dafür.«
    Er rutschte auf der Bank herum und murmelte etwas, das sich anhörte wie »Nicht der Rede wert« oder so.
    Ein paar Minuten redete keiner von uns beiden, wir lauschten dem Rauschen des Meeres und ich spürte, wie sein Bein sich ganz leicht an meines anlehnte. Dann räusperte Phil sich: »Die Fotos von Brigida, die da neulich bei mir auf dem Tisch lagen, also... die habe ich mir nur angeschaut, weil ich nicht mehr wusste, ob ich diese Frau überhaupt noch liebe.« Er machte eine Pause, in der ich die Luft anhielt. Wie albern! Als ob man durch Luftanhalten eine Antwort, einen Satz, den der andere als nächstes aussprechen wird, noch irgendwie ändern könnte.
    »Und jetzt, seitdem ich weiß, wo ihre Eltern wohnen, habe ich erst recht keine Ahnung mehr.« Er nahm wieder meine Hand und streichelte mit dem Daumen meinen
Handrücken. »Du willst vielleicht wissen, warum ich überhaupt nach Pozzo möchte?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste im Moment gar nichts mehr, als wäre ich gerade von einem wohlig warmen Tauchgang an die eiskalte Oberfläche gelangt.
    »Ich möchte ihre Eltern nur kurz treffen.« Es klang entschuldigend. »Eltern sind ja etwas sehr Privates, man verheimlicht sie gerne mal, oder?« Er lachte freudlos. »Es ist ein Test. Ich stelle mich vor, und ganz sicher weiß ich dann mehr über Brigida. Ich kann Sizilien nicht verlassen, ohne das ausprobiert zu haben. Albern, oder? Aber dann...« Er drückte meine Hand und ließ sie los.
    Aber dann sagst du mir trotzdem auf Nimmerwiedersehen, antwortete ich unhörbar, und alles, was zwischen uns war, wird dir spätestens beim Einchecken am Flughafen entfallen sein. Erstaunt wirst du zu Hause die Fotos von Matilde und mir anschauen, heimlich, da du sie Brigida natürlich nicht zeigen kannst. Du wirst dich dabei fragen, was für eigenartige Tage das waren, die du mit uns auf dieser abgeschiedenen Insel verbracht hast. Du wirst die Fotos wegpacken und mich vergessen. Mein Bild wird verblassen, es wird nichts zurückbleiben, an das es sich zu denken lohnt. Auf einmal konnte ich den Gedanken nicht ertragen. Er sollte sich an mehr erinnern als an süß-saure caponata, die unberechenbaren äolischen Winde und cucunci, Kapern am Stiel. Ich wollte von meinen Eltern sprechen, wollte ihn nicht gehen lassen, ohne dass er von meiner Mutter wusste, dem fröhlichen Mädchen, das Zia Pina in ihrem Brief beschrieb und das so gar nichts mit meiner verschlossenen Mamma Maria gemein hatte. Er sollte von meiner Kindheit wissen, den schweigenden Geburtstagen, den stummen
Mittagessen, bei denen sie nie mit meinem Vater am Tisch saß. Ich wollte Phil den Brief übersetzen, den dieser Finú meiner Mutter geschrieben und den sie so sorgsam versteckt hatte. Ich sprang auf, »Bin gleich wieder da!«, und ging hinein, um die Bibel vom Nachttisch neben meinem Bett zu holen. Matilde schlief fest, ich zog die Decke noch ein Stück weiter über

Weitere Kostenlose Bücher