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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Ich hatte vor, wie jedes Jahr im Frühling eine schwarze Hose zukaufen. Ich trug nur Schwarz damals. Warum ich mich ausgezogen hatte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls saß ich aus einem mir nicht mehr bekannten Grund mit nacktem Oberkörper in eben jener Umkleidekabine
auf einem Lederhocker und hatte eine Hasselblad auf den Knien.« Er hob seine Kamera hoch. »Eine Kamera wie diese. Ich sollte sie in der nächsten Stunde an einen unserer besten Kunden ausliefern. Ich prüfte sie schnell noch einmal durch, löste dabei den Blitz aus, und in diesem Augenblick zog jemand den Vorhang beiseite. Sie trug eine grasgrün gefärbte Kaninchenfelljacke und eine Handtasche über der Schulter, war also ganz sicher keine der Verkäuferinnen. Ausgerechnet an jenem Morgen hatte ich mir aus einer Laune heraus meine langen Haare abgeschnitten und gleich alles mit der Haarschneidemaschine auf eine Länge abrasiert, damit es wenigstens gleichmäßig aussah. Meinen Dreitagebart hatte ich stehen lassen, und so bot ich einen etwas verwegenen Anblick.« Er drehte seinen Löffel auf der Untertasse hin und her.
    »Und dann?«
    »Erstaunlicherweise brachte ich folgenden Satz hervor: ›Ich fotografiere heimlich Frauenfüße‹ und zeigte ihr mit den Augen, sie solle den Vorhang schließen. Sie gehorchte, ich löste den Blitz aus, so als fotografiere ich ihre hohen Schuhe, die unter dem Vorhang zu sehen waren.«
    »Und das fand sie toll?«
    »Anscheinend. Und als ich dann auch noch den König der angeblich pervers stinkenden Käsesorten aus ihrem Kühlschrank ohne einen Ton verzehrte...«
    Ich nickte. Den Rest wollte ich mir nicht vorstellen. Ich hatte unseren Ausflug nach allen Regeln der Kunst zerstört. Warum hatte ich bloß mit Brigida angefangen?
    Ich stand auf, um zu bezahlen, doch Phil kam mir zuvor. Wir liefen schweigend auf der bescheidenen Promenade bis zu den großen Wellenbrechern aus Beton, Matilde balancierte
auf der Mauer, und dann fuhren wir mit dem Minibus zurück nach Santa Marina Salina. Als ob ihm durch die Kennenlern-Geschichte bewusst geworden wäre, wie lange er schon mit uns unterwegs war, sagte Phil plötzlich: »Ich fahre morgen.« Er studierte die Abfahrtszeiten der Tragflügelboote, die an einem alten Holzbrett angeschlagen waren, zog Geld aus dem Automaten und ließ sich in einem kleinen Reisebüro die Züge aufschreiben, die ab Milazzo in Richtung Palermo fuhren. In mir schnürte sich etwas zusammen. Ich versuchte, das Gefühl zu vertreiben, indem ich Matilde an die Hand nahm und alle drei Minuten ihre Stirn befühlte. Doch immer wieder hallte mir sein »Ich fahre morgen« in den Ohren.
    Morgen! Morgen schon!
    Ohne zu reden, bummelten wir an den Geschäften entlang. Bunte Keramik, Wein und Kapern, ich glotzte in die Schaufenster und sah doch nicht wirklich hin. Plötzlich stand Giuseppe vor uns, der Vermieter unserer Appartements. »Na, alles wieder in Ordnung?« Er beugte sich zu Matilde, die nach meiner Hand griff, aber sich nicht hinter meinen Beinen versteckte.
    »Ja, es geht ihr wieder richtig gut.«
    Phil lächelte verbindlich und hörte den Höflichkeiten zu, die wir austauschten: dass das Wetter ganz prächtig sei, Salina wunderschön um diese Jahreszeit und die Wohnungen tadellos. Ich erwähnte Phils Abreise mit keinem Wort, vielleicht überlegte er es sich ja noch. Wir gaben uns die Hand und gingen in verschiedene Richtungen weiter.
    »Ach, und falls es Sie noch interessiert«, rief Giuseppe hinter uns her und winkte, »ich habe meine Schwester gefragt. Die Familie mit dem Jaguar und den beiden Töchtern
kam aus einem kleinen Städtchen drüben auf Sizilien. In der Nähe von Corleone. Pozzo, sie kamen aus Pozzo!«
     
    Wir nahmen den letzten Bus nach Malfa. Die Kurven wiegten uns sanft hin und her. Matilde schlief ein. Phil trug sie die Straße hinunter, ihr Kopf lag auf seiner Schulter. Ich ging hinter den beiden und betrachtete sie. Ich sah Phils kräftigen Rücken, das schlafende Kindergesicht, ich spürte die feste, abschüssige Straße unter meinen Füßen und eine wohlbekannte Traurigkeit in mir aufsteigen.
    Wir legten Matilde ins Bett und trafen uns auf der Veranda, standen unschlüssig vor den vertrauten, durchgesessenen Liegestühlen, der von Phil rechts von der Tür, meiner links. Ich setzte mich auf die steinerne Bank, Phil folgte mir. Wir waren eingerahmt von den Säulen, während das Meer irgendwo im Dunklen hinter uns rauschte. Kein Sternenhimmel, und außer den Grillen gab es nichts, was

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