Das Loch in der Schwarte
unethischen Behandlung von Steinen. Ein Stein durfte nicht zerschlagen, zermalmt oder auf andere Art und Weise gequält werden. Wenn Steine um eine Feuerstelle gelegt wurden, dann mussten sie in so einem Abstand platziert werden, dass sie nicht durch die Hitze platzten. Wenn Steine als Baumaterial benutzt wurden, beispielsweise für eine Mauer, durfte kein Mörtel benutzt werden, der den Stein ersticken konnte, die einzige erlaubte Methode war, vorsichtig die Steine übereinander zu stapeln.
Die Schotterindustrie wurde Aufsehen erregenden Sabotageaktionen ausgesetzt. Der Straßenbau wurde gezwungen, die Steinfüllung in Straßenbetten durch neue, kostspielige Bakelitmaterialien zu ersetzen. Der Bergbau war der größten Kritik ausgesetzt und wurde geradezu von Terrorangriffen attackiert. Der grausigste ereignete sich in Johannesburg, wo mehr als vierzig Grubenarbeiter umkamen, als ihr Pendelbus von Aktivisten in einer Selbstmordaktion in die Luft gesprengt wurde. Auf einem Videoband, das kurz vor dem Attentat aufgenommen worden war, sah man zwei junge, ernste Frauen in grünen Overalls:
»Wir machen das für die Steine. Täglich gibt es Übergriffe und Folter. Wir müssen die brutale Vergewaltigung des Felsengrundes durch die Menschen stoppen.«
Innerhalb der Steinbewegung entfachten sich harte Diskussionen, wie man sich gegenüber dem Metall
verhalten sollte. Dass kein neues Metall aus unschuldigen Steinen geschmolzen werden sollte, darin waren sich alle einig, aber was sollte man mit all dem Metall anfangen, das bereits produziert worden war? Sollte es als ebenso heilig angesehen werden wie der Stein, aus dem es kam? Oder war das Metall tot, war die Seele des Steins selbst verloren gegangen, während er geschmolzen wurde, so dass man ebenso gut das Metall wiedergewinnen konnte, das es bereits gab?
Das wurde zu einer Frage, die die Steinbewegung spalten sollte.
Zwei Phallanxen bildeten sich, eine größere, eher kompromissbereite, die Metalle akzeptierte, und ein kleinerer, fanatischer Zweig, der in Holzhäusern wohnte, die mit Holzstiften zusammengenagelt worden waren, und Holz mit fast untauglichem Werkzeug hackte, geschliffenen Tierknochen oder Panzerkunststoff. In letzterer Gruppe fanden sich auch die Steinanbeter, eine fundamentalistische Sekte, die Steinabbilder anbeteten und versuchten, sie mit ihren Gebeten zu erwecken. Mehrere Chemiker und Physiker befanden sich in dieser Gruppe, und als die Gebete mit eher wissenschaftlichen Methoden kombiniert wurden, war man zu guter Letzt erfolgreich. Als der Stein aufgeweckt wurde, zeigte sich das Resultat meilenweit als eine kegelförmige Wolke, und die Zentrale der Steinanbeter und das ganze Gebiet drum herum wurde ausradiert.
Nach dieser Katastrophe übernahmen moderatere Kräfte die Führung. Man versuchte zu berechnen, an welchem Datum die Kokons der Steine aufwachen würden, und wie bei allen Untergangsbewegungen fand man heraus, dass es ziemlich bald soweit sein würde. Bis jetzt sind drei derartige Termine bereits ereignislos verstrichen, und jedes Mal gab es eine riesige Hysterie mit Massenversammlungen und Sündenbekenntnissen und Leuten, die alles verschenkten, was sie besaßen. Hält man sich bei solchen Gelegenheiten bereit, kann man sich wirklich die Taschen füllen. Aber es besteht natürlich immer das Risiko, dass es doch das richtige Datum ist, und dann steht man da und ist am Tag des Jüngsten Gerichts angeschmiert. Sigrid Wasser ist mittlerweile die Technische Verantwortliche für das Forschungsbüro der Steinbewegung in Innsbruck, sie glaubt, dass die Steine frühestens in gut zwei Milliarden Jahren erwachen werden.
Und Pernilla Hamrin? Als die Steinbewegung in Fahrt kam, zog sie von Luleå fort und wurde bald eine tonangebende Missionarin der Bewegung. Es heißt, dass sie an dem Tag, als der Stein aufgeweckt wurde, in die Zentrale der Steinanbeter eingeladen worden war, und in diesem Fall ist sie inzwischen ein Teil der Luft, die wir einatmen.
Aber es gibt auch ein anderes Gerücht, nach dem sie überhaupt nicht dorthin gereist ist, sondern ganz im Gegenteil vom Ausschluss bedroht wurde, weil sie als allzu beschwerlich angesehen wurde. Laut dieser Version geriet Pernilla Hamrin in eine Sinnkrise, ließ sich in einer winterfesten Eisangelhütte bei Torneträsk nieder und lebt heute davon, 187prozentigen Selbstgebrannten an die lokale Bevölkerung zu verkaufen.
Big Bang
m Anfang wurde das Universum mit einem Big Bang geschaffen. So wird
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