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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Leute nicht zu jeder passenden und unpassenden Zeit röntgen kann und so ein Apparat ziemlich plump war und kaum zu den Feldforschungen mitgenommen werden konnte, wurde daneben ein Androidentest entwickelt. Das war ganz einfach ein Frageformular. Anfangs war es etwas unbeholfen formuliert und ging von der fälschlichen Annahme aus, dass Maschinen keine Gefühle haben:
    Du siehst, wie ein Junge einen Stein auf ein kleines Kätzchen wirft. Was tust du?
    A: Ich gehe weg.
    B: Ich frage, wie die Katze heißt.
    C: Ich sage dem Jungen, er soll damit aufhören.
    A und B sind Androidenantworten. C ist eine Menschenantwort. Wenn der Interviewte mit C antwortet, wird die Folgefrage gestellt:
    Warum bittest du den Jungen, damit aufzuhören, Steine zu werfen?
    A: Es ist nicht in Ordnung, Tiere zu quälen.
    B: Ich fühle Mitleid mit der Katze.
    C: Ich bin wütend auf den blöden Jungen.
    A ist die Androidenalternative. B und C führen weiter zu Fragen über die Barmherzigkeit, über die unglückliche Kindheit des Jungen, über Trauer und Schmerzen, bis die Tränen vor lauter aufkommendem Gefühl zu rinnen beginnen. Wenn man soweit gekommen ist, dass der Interviewte ein Taschentuch zückt und sich die Nase putzt, dann hat er den Test bestanden.
    Das Problem ist nur, dass Androiden genauso häufig weinen wie Menschen. Zuerst nahm man an, sie würden nur so tun. Dass ihr Benehmen erlernt war, dass sie die Menschen nur nachäfften. Sie hatten gesehen, wie die Menschen es tun, und gelernt, genauso zu reagieren, um nicht entlarvt zu werden.
    Und sicher, natürlich ahmten sie die Menschen nach.
    Selbstverständlich. Aber das tun Menschen doch auch. Während ihrer ganzen Entwicklung ahmen die Kinder die Erwachsenen nach, die Körpersprache der Eltern, ihre Gesichtsausdrücke, Ansichten und Gewohnheiten. Ohne Nachahmung wäre es nie wirklich menschlich.
    Deshalb versuchte man die Tests in psychoanalytischer Richtung mit Träumen, freien Assoziationen, Versprechern und so weiter auszudehnen. Es zeigte sich, dass die Androiden Meister darin waren, Neurosen zu imitieren. Ein Android konnte vollkommen überzeugend schildern, dass er geträumt hätte, im Dschungelsumpf geflügelte Piranhas zu schießen, woraufhin ein glänzendes Krokodil aus dem Morast gekrochen sei und den Gewehrlauf abgebissen habe, wonach er in Schweiß gebadet aufgewacht sei. Es gab Androiden mit Flugangst, Höhenangst, Klaustrophobie, Androiden, die eine panische Angst vor Spinnen oder Spritzen hatten. Es gab Androiden, die ihre Herdplatte immer und immer wieder kontrollieren mussten, um sich zu vergewissern, dass sie auch ausgeschaltet war. Viele Androiden hatten hinsichtlich ihres Aussehens Komplexe, sie fanden ihre Nase zu groß oder den Busen zu platt. Die Androiden waren ganz einfach menschlich. Sie waren wie du und ich. Bis auf einen Punkt.
    Man entdeckte ihn rein zufällig. An einem Punkt gibt es einen entscheidenden Unterschied zu uns Menschen.
    Ein Android kann niemals Selbstmord begehen.
    Was eigentlich ziemlich merkwürdig ist. Schließlich gibt es keine eingebaute Sperre oder so. Nichts in der Programmierung an sich, was das verhindert. Aber als eine Doktorandin der Amsterdamer Universität, Cornelia Visser, auf die Idee kam, die Selbstmordstatistiken von sämtlichen Kontinenten zu durchkämmen, fand sie nicht einen einzigen Androiden darunter. Worauf sie zu der Niederländischen Androidenbehörde Kontakt aufnahm und beschloss, Tiefeninterviews zu führen. Schon bald saß sie dem ersten lebendigen Androiden ihres Lebens gegenüber, einem, der behauptete, er arbeite als nigerianischer Putzmann bei der Metro.
    »Hast du jemals mit dem Gedanken gespielt, Selbstmord zu begehen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Dann stirbt man ja.«
    »Dann wolltest du also nie sterben?«
    »Nee, warum denn?«
    »Du wolltest nie ausgelöscht werden, verschwinden …?«
    »Die Frage ist komisch. Wenn man leben will, warum sollte man dann … äähh … klicketi-tjopp-tilt…«
    Cornelia Visser hatte durch Zufall herausgefunden, wie man Androiden entlarven kann. Die Frage, vor der sich kein Android drücken konnte. Wenn sie versuchten zu lügen, dann musste man nur weiterfragen:
    »Hast du jemals darüber nachgedacht, Selbstmord zu begehen?«
    »Das haben ja wohl alle einmal.«
    »Erzähl mal, wann und warum.«
    »Ja, äähh … letzte Woche, glaube ich.«
    »Und was passierte da?«
    »Ich stand da und … hackte Zwiebeln.«
    »Ja und?«
    »Und da habe ich mich aus Versehen

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