Das Loch in der Schwarte
Gedanken, genau wie ich. Und jetzt bestimme ich, dass mein Leben einen Sinn hat. Pling! Siehst du, es funktioniert!«
»So kann man das doch nicht machen.«
»Pling! letzt habe ich es wieder gemacht, ha ha! Mein Leben hat einen Sinn und deines nicht, da siehst du, wie schön es ist, eine Maschine zu sein!«
»Du schummelst! So einfach geht das nicht…«
Hier verlassen wir die beiden, den Androiden und den Menschen in der Psychologensprechstunde. Pling? Ob die Therapie funktioniert? Wir wissen es noch nicht. Aber wir wissen, dass das Gespräch fortgeführt wird. Die Milchstraße dreht ihre Spiralarme. Ein Nordlicht zeigt sich am Karesuandohimmel, und dort hinten am Waldrand steigt ein warmer Rauch zu den Sternen empor, wird dünner, verschwindet. Der Rauch eines Feuers aus einer zugeschneiten Waldhütte, in der ein einsamer Scooterfahrer in Gedanken versunken sitzt.
Rutvik
drienne Laplace war eine schüchterne, zierliche Französin mit jungenhaften, schmalen Hüften. Trotz ihrer Jugend sah sie verzweifelt aus, eine Pflanze, die zu wenig Nährstoffe bekommen hatte. Sie war in Saint Denis außerhalb von Paris bei ihrer allein stehenden Mutter aufgewachsen, einer im Laufe der Zeit immer aufgequolleneren und alkoholisierteren Kellnerin. Von ihrem Vater hatte sie nie etwas zu sehen bekommen. Er war Unternehmer in der Zeitschriftenbranche, im Fotoalbum posierte er in arabischer Dschellaba in einem Hotelfoyer, mit der linken Hand liebevoll einen ausgestopften Löwen streichelnd. Die Eltern hatten sich in aller Güte scheiden lassen, als Adrienne noch ein Säugling war, wie die Mama jedes Mal, wenn das Thema zur Sprache kam, unterstrich. In aller Güte, wiederholte sie. Erst als Adrienne erwachsen war, gelang es ihr, die Wahrheit aus ihr herauszukitzeln. Dass sie eines Abends im Zuge einer ausschweifenden Hauptversammlung entstanden war. Die Mutter war zum Servieren engagiert gewesen und hatte in etwas Glänzendrotem Getränke gereicht. Und nach sanfter Überredung hatte sie in einem Ledersessel in der Relaxabteilung die Hosen fallen lassen. Die Güte beinhaltete, dass jeden Monat unter gegenseitiger Diskretion regelmäßig ein Bankkonto gefüllt wurde. Im Teenageralter erfuhr Adrienne, dass es der Dschellaba-Vater war, der die Zeitschriften herausgab, die ihre Mutter immer auf dem Balkon las, Hochglanzseiten voll mit reichen Leuten, Parfümreklame und Skandalen.
Als Adrienne achtzehn wurde, war sie deshalb äußerst überrascht, als der Vater von sich hören ließ. Er bestand darauf, sie zu sehen. Sie wurde von einem Privatchauffeur abgeholt und zu der väterlichen Jacht hinausgefahren, wo ihr an einem viel zu großen Tisch ein Essen serviert wurde, gereicht von sanften, diskreten Männern in weißen Uniformen.
»Ich verkaufe Träume«, sagte ihr Gastgeber in einer Art Präsentation und hustete bronchitisch in die Serviette. »Träume leben länger als Menschen.«
Dann prosteten sie sich jeweils von ihrer Tischseite aus zu. Seine Haut war nikotingelb, sie glänzte und saß stramm in den Mundwinkeln. Er musste eine Schönheitsoperation hinter sich haben.
»Ich ziehe das Kino vor«, antwortete sie.
»Auch Filme sind Träume«, bemerkte er wohlwollend. »Komm her, Lourdes.«
Ein Rokokospiegel erwachte plötzlich zum Leben und wurde bis direkt an den Esstisch geschoben. Dahinter saß eine blondierte Dame im Kostüm und lächelte verlegen. Auf dem Stativ vor ihr stand eine laufende Filmkamera.
»Lourdes macht eine Dokumentation über mein Leben«, erklärte er. »Schließlich ist es das erste Mal, dass wir uns sehen, Adrienne.«
»Ja.«
»Hast du mich vermisst? Ist es schwer, ohne Vater zu leben? Hast du das Gefühl, dass ich dich im Stich gelassen habe?«
Sie vermochte nicht zu antworten. Ein Auge lief über, etwas Glänzendes lief ruckartig über ihre Wange.
»Nur ruhig«, flüsterte er. »Lass sie laufen.«
Lourdes beugte sich über die Kamera. Die Träne glitzerte in der Tischbeleuchtung. Adrienne saß unbeweglich da und betrachtete ihren Vater, der stoßweise den Mund aufriss und versuchte, mehr Sauerstoff einzuatmen. Wieder hustete er, schnappte nach Luft und hustete. Es war klar, dass er in kurzer Zeit sterben würde.
Ein paar Tage später kam ein Bote mit zweihundert Gutscheinen für Kinokarten zu Adrienne nach Hause. Sie sah das als ein Zeichen an. Ein gutes halbes Jahr später begann sie einen Kurs für Filmwissenschaft an der Universität. Kurz darauf verstarb ihr Vater, ohne dass sie sich noch
Weitere Kostenlose Bücher