Das Loch in der Schwarte
geschnitten, so dass es blutete. Und da habe ich gedacht, dass ich vielleicht sterbe, wenn ich noch tiefer schneide.«
»Was?«
›»Jetzt naht der Tod‹, habe ich gedacht. ›Jetzt naht der Selbstmord.‹«
»Hallo, Wache!«
»Habe ich was Falsches gesagt?«
»Schädelröntgen, mein Lieber! Jetzt geht’s ans Schädelröntgen!«
Und plötzlich wurden reihenweise Androiden festgenommen. Es stellte sich heraus, dass es mehr Betrüger gab, als man gedacht hatte. In einer größeren Stadt konnten Hunderte von ihnen unter den verschiedensten Deckmäntelchen leben. Jetzt konnte man sie sogar mittels Telefoninterview entlarven, und dann war die Destruktion angesagt.
Destruktion. Hier entstand ein neues Problem. Die Angehörigen waren natürlich verzweifelt. Freunde und Arbeitskollegen fingen an zu protestieren. Da hatte man endlich mal eine Person, die sich vorbildlich verhielt, keiner Fliege etwas zu Leide tat, warum sollte sie dann umgebracht werden? Das war doch barbarisch!
Die Androidenbehörde tat ihr Bestes, um sich zu verteidigen. Man erklärte, dass die Gesellschaft nicht mehr funktionieren würde, wenn man nicht mehr zwischen Mensch und Roboter unterscheiden konnte. Die ethischen Grenzen würden verwischt werden. Mensch und Maschine würden in einer unbestimmbaren Grauzone zusammenfließen, wir würden ein Niemandsland bekommen, in dem die Computer die Macht ergreifen und die Menschheit vom Thron stoßen würden. Mehreren der Androiden war es schließlich gelungen, sich beim Einwohnermeldeamt registrieren zu lassen, sie hatten bereits an allgemeinen Wahlen teilgenommen. Man stelle sich nur vor, wie es wäre, einen Androiden zum Premierminister zu bekommen! Wenn sich nun herausstellen sollte, dass die Mehrheit eines Parlaments Androiden waren und eines schönen Tages die Menschheit überstimmen würden.
Doch das nützte alles nichts. Angehörige von festgenommenen Androiden traten auf dem Bürgersteig vor den Zellen in den Hungerstreik. Ermordet meine Ehefrau nicht, stand beispielsweise auf den Plakaten. Lasst Susi leben! Beamte, die vorbeigingen, wurden mit roter Farbe beworfen. Viele Menschen versteckten Androiden bei sich zu Hause. Sympathisantengruppen bildeten sich und wurden immer stärker. Die Destruktionsanlagen wurden im Volksmund Auschwitz genannt, und es gingen Bombendrohungen ein. Heimlich gedrehte Filmaufnahmen zeigten die ganze Scheußlichkeit, Bedienstete schnallten den sich wehrenden Körper in einer Art Schraubzwinge fest, sägten den Androidenschädel auf und zogen die Stromkreise mit einer Zange heraus, woraufhin der noch spastisch zuckende Körper in den Krematoriumsofen geschoben wurde.
Das Ganze war einfach nicht mehr haltbar.
Eine Blitzuntersuchung wurde durchgeführt und nach vielen Seelenqualen ein Vorschlag präsentiert. Es waren ja nicht die Androiden selbst, die das Problem darstellten. Es war ihr Untertauchen und ihr Betrug. Deshalb sollte den Androiden, die entlarvt worden waren, eine Alternative zu ihrer Destruktion angeboten werden. Statt zu sterben, böte man ihnen ein »Coming out« an. Sie sollten ganz einfach öffentlich zugeben, dass sie Androiden waren. Dann würden sie einen speziellen Androidenpass bekommen und in allen öffentlichen Zusammenhängen eine aufgenähte Androidenmarke auf ihrer Kleidung tragen, beispielsweise den Buchstaben A.
Der Vorschlag wurde abgelehnt. Er erinnerte in unangenehmer Weise an die Judenvernichtung und den Davidsstern. Konnte man nicht eine andere Art von Kennzeichen benutzen? Etwas Leichteres, Lustigeres? Alle Androiden konnten doch beispielsweise einen besonderen Fingerring tragen. Oder ein kleines, witziges a auf eine sichtbare Stelle tätowieren lassen, wie etwa aufs linke Ohrläppchen. Die verdeckten Androiden, die erwischt wurden, konnten sich dann entscheiden zwischen Hinrichtung oder Tätowierung.
Der Vorschlag wurde angenommen. Alle neuproduzierten Androiden bekamen ihren kleinen Buchstaben ans Ohr, ebenso diejenigen, die bereits auf dem Markt waren. Bald konnte man sie täglich in der Stadt sehen, an der Fleischtheke, beim Jogging, im Bus. Es wurde ganz üblich. Sie wurden unglaublich üblich. Denn nach kurzer Zeit entdeckte man, dass auch ganz normale Menschen sich in gleicher Art und Weise hatten tätowieren lassen. Es begann in den Sympathisantengruppen, die früher Androiden versteckt hatten, unter den Linken, Anarchisten und Datenfreaks. Dann wurden die Kreise immer größer: Gymnasiasten, Freireligiöse,
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