Das Locken der Sirene (German Edition)
nehme Nora ein Stück von ihm mit sich. Es war seine Regel. Seine Bedingung, dass sie erst Liebhaber wurden, wenn das Buch fertig war. Aber für einen kurzen Moment hatten ihn keine Schuldgefühle geplagt, und davon war die Welt nicht untergegangen.
Zach betrat das Apartmenthaus und fuhr im Aufzug hoch. Er war aus dem Mantel geschlüpft, sobald er seine Wohnung betrat. Er zog sich das T-Shirt über den Kopf, riss die Jeans herunter und warf die Klamotten in eine Zimmerecke. Dann kroch er mit dem Widerwillen eines erschöpften Soldaten unter die Decke und versank im bitteren Schützengraben seines Bettes.
Er schloss die müden Augen. Doch er konnte nicht aufhören, sich Grace vorzustellen. In manchen Nächten hatte sie seine Hände davon abgehalten, sich auszuziehen, weil sie ihn lieber selbst entkleiden wollte. Wenn der kurze, seltene Moment der Aggression vorbei war, wurde sie ganz schüchtern, während ihre Finger nervös und ernsthaft die Manschettenknöpfe öffneten, den Hemdkragen und jeden einzelnen Knopf. Erst dann schob sie das Hemd so langsam von seinen Schultern, dass er erbebte. Und sie sah ihn dabei so staunend und lüstern an, dass er, ein verheirateter Mann, der vorher in Dutzenden Betten zu Hause gewesen war und es gewohnt war, von Frauen anerkennend betrachtetet zu werden, auf einmal wieder schüchtern wurde. Sie schaute ihn an, als habe sie noch nie seine nackte Brust gesehen, noch nie seine nackten Arme, den nackten Bauch und den Rücken. Das ging so weit, dass er das Gefühl bekam, noch nie so angesehen worden zu sein, was vermutlich sogar stimmte. Am nächsten Tag hatte er immer gegähnt und sich gestreckt und war durch die Stunden gestolpert, dankbar dafür, dass ihm etwas so viel Besseres zuteilgeworden war als ein paar Stunden gesunder Schlaf.
Zach kam in seiner Hand und drehte sich erschöpft auf den Bauch. Gott, wie sehr er seine Frau vermisste.
Nora saß am Fußende ihres Bettes und starrte auf den schwarzen Abgrund aus Seide vor sich. Wie viele ihrer Protagonisten schlief sie in schwarzer Bettwäsche. Aber anders als jene tat sie es aus praktischen Gründen und nicht um der Verführung willen. Sie schrieb im Bett und schlief oft dabei ein, und wenn sie die Stifte nicht verschloss, floss viel Tinte. Seit Wesleys Einzug vor über einem Jahr hatte sie keine Übernachtungsäste mehr gehabt. In diesen Tagen stammten die einzigen Flecken in ihrem Bett von der Tinte.
Nora zog ihren Pyjama an, froh, in etwas Bequemes schlüpfen zu können. Was für eine Nacht … Sie war so dumm gewesen, Zach mit zum Zirkel zu nehmen. Es war ein Wunder, dass tatsächlich niemand Zach verraten hatte, dass sie nicht nur eine Dominante war, sondern auch eine echte Domina, und dass der Zirkel nicht der Ort war, an dem sie spielte, sondern an dem sie arbeitete. Er hatte den Zirkel vertragen, aber nur mit knapper Not. Wesley verabscheute, was sie tat. Zach würde wohl kaum verständnisvoller reagieren.
Wes – der Geist ihrer Schuld schwebte durch den Raum, als sie sich an Michael erinnerte. Aber dennoch – er war so willig und bereit gewesen, so begierig darauf, zu erfahren, dass er mit seinen fremdartigen Gelüsten nicht allein war. Und wenn nicht sie ihn mit ihrer Welt bekannt gemacht hätte, wäre es irgendwann ein Mädchen gewesen, nichtssagend und dumm und sich absolut nicht bewusst, mit was für einer seltenen Kreatur sie gerade so ungeschickt herummachte. Michael verdiente etwas Besseres. Er verdiente die Zeremonie und die Geschichte.
Nachdem sie fertig gewesen waren und sie seine Fesseln gelöst hatte, hatte er sich in ihren Armen eingerollt und geweint. Sie hatte ihn gewiegt und ihn reden lassen. „Ich hab immer gedacht, mit mir sei etwas nicht in Ordnung“, hatte er ihr gestanden. „Ich habe geglaubt, es sei falsch, dass ich mir so etwas wünsche.“ Und sie wusste, dass er nicht weinte, weil er traurig oder entsetzt war, sondern weil alle Babys nach ihrer Geburt weinten.
Nora schaute sich um. Der Geist hatte sich verflüchtigt. Aber sie konnte heute Nacht auf keinen Fall in ihrem Bett schlafen. Nicht solange die Erinnerung an Sørens Sticheleien ihr noch in den Ohren klangen.
Sie lief auf Socken den Flur entlang und blieb vor der halb offenen Tür zum anderen Schlafzimmer stehen. Wesley lag auf der Seite und hatte ihr den Rücken zugewandt. Die Decke hatte er nur bis zu den Hüften hochgezogen.
„Ich bin wach, Nor“, sagte er, ohne sich zu ihr umzudrehen.
Auf Zehenspitzen schlich sie ins
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