Das Locken der Sirene (German Edition)
das Telefon und hatte nach einem Anruf die Nummer, die sie brauchte.
Das Telefon klingelte zweimal, ehe sich am anderen Ende eine nervöse Stimme meldete. „Ja, hallo?“, fragte das Mädchen.
„Hallo, Vögelchen. Rate mal, wer hier ist?“
Nora lächelte, denn sie hörte, wie das Mädchen nach Luft schnappte. Kingsley hatte einen fantastischen Geschmack bei der Auswahl der Frauen für seine Clique. Es war ihm eigentlich egal, ob sie sich die Mitgliedsbeiträge leisten konnten, solange sie andere Möglichkeiten hatten, sich den Zutritt zu verdienen. Kingsleys Hofdamen verfügten allesamt über sehr nützliche Talente. Nicht nur im Schlafzimmer, sondern auch außerhalb.
„Ich habe dir doch gesagt, dass ich deinen Namen nicht vergesse, Robin. King hat mir von dem Job erzählt, den du tagsüber machst. Hast du heute eine oder zwei Stunden Zeit, um mir einen Gefallen zu tun? Ich zahle gut.“
„Für Sie tue ich alles, Herrin.“
Nora gab dem Mädchen ihre Anweisungen und legte auf. Sie schob den Gedanken an Zach beiseite und machte sich wieder an die Arbeit.
Zach schaute auf die Uhr. Es war schon fast halb sechs. Er hatte die letzten zwei Stunden mit seiner zukünftigen Assistentin im Westküstenbüro telefoniert. Sie hatten gerade die nächsten Projekte erörtert, als Mary hereinplatzte und sagte, er habe einen Besucher.
„Soll reinkommen.“
Eine junge Frau, die er auf den ersten Blick nicht erkannte, betrat sein Büro. Sie trug eine große Segeltuchtasche über der Schulter und schob einen Rollwagen vor sich her.
„Mr Easton? Freut mich, dass wir uns so schnell wiedersehen“, begrüßte sie ihn.
„Sind wir uns schon mal begegnet?“, fragte er und stand auf.
„Ja, ich bin Robin. Wir sind einander gestern Abend vorgestellt worden.“
„Natürlich, im …“
„Im Club.“ Sie schnitt ihm das Wort ab, ehe er den 8. Zirkel erwähnen konnte.
Jetzt erkannte Zach sie auch wieder. Ohne ihr Kostüm und mit dem hochgesteckten Haar und der altmodisch anmutenden Brille sah sie wie eine völlig andere Person aus. Nichts erinnerte mehr an das provozierend knapp bekleidete Zigarettenmädchen.
„Richtig, im Club. Wie kann ich Ihnen helfen?“
Das Mädchen schloss die Bürotür und drehte den Schlüssel herum.
„Sie können Ihre Kleidung ausziehen, Mr Easton.“
Anderthalb Stunden später schloss Zach die Tür hinter Robin und sank in seinen Stuhl. Er war froh, dass sie so spät ins Büro gekommen war, sodass fast alle anderen schon gegangen waren. Erst hatte er gezögert, aber eine professionelle Massage war ein Geschenk, das man nicht ausschlagen durfte. Das Mädchen hatte Wunderhände, und sie hatte mehr als eine Stunde damit zugebracht, jeden einzelnen Knoten und jede Verspannung aus seinem Körper zu kneten. Seine Muskeln waren jetzt so entspannt wie eine Seeanemone. Er schuldete Nora ein großes Dankeschön, weil sie das für ihn arrangiert hatte. Er vermutete, da sie ihn nicht so berühren konnte, wie sie wollte, hatte sie nach einem Schlupfloch gesucht, ihm trotzdem etwas Gutes zu tun, und hatte Robin engagiert.
Zach streckte die Arme aus und genoss, wie entspannt er sich jetzt fühlte. Geradezu friedlich. Es war mehr als anderthalb Jahre her, seit er sich das letzte Mal so entspannt gefühlt hatte. Seine Ehe mit Grace hatte als Albtraum begonnen, doch schon bald hatte sich dieser Albtraum in seinen schönsten Traum verwandelt. Aber wie jeder Traum hatte er auch diesem nicht trauen dürfen. In Träumen lauerte das Böse immer in den dunklen Ecken. Und eines Tages begann dieses dunkle Böse sich selbst tagsüber zu zeigen, wenn er wach war. Grace fing an, Gespräche mit ihm zu führen. Schreckliche Gespräche, die er nicht führen wollte. Und dann war irgendwas mit ihr passiert oder vielleicht auch mit ihm. Er wusste nur, dass Grace irgendwann langsam verschwand und es nichts gab, das er dagegen tun konnte. Sie machte einfach langsam zu und verging. Wie eine Uhr, die niemand mehr aufzog.
Es war für ihn eine Offenbarung gewesen, Robins Hände auf seinem Körper zu spüren. Er hatte mit Nora bereits eine unbeschreiblich sexuelle Nähe erlebt, als sie in jener Nacht betrunken in ihrem Büro gehockt hatten. Und dann letzte Nacht in ihrem Aston Martin … Einfach von einer anderen Frau berührt zu werden, wenn der Rücken gestreichelt wurde oder die Arme und Beine … berührt zu werden, und zwar nicht auf eine sexuelle, sondern eine sinnliche Art, fühlte sich so fremd für ihn an wie diese letzte
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