Das Locken der Sirene (German Edition)
mit einem verführerischen „Ich schon“ geantwortet. Unter dem Foto war eine kurze Notiz darüber, dass Royal House die berüchtigte Nora Sutherlin unter Vertrag genommen habe –
die einzige Autorin, die Anaïs Nin zum Erröten bringen könnte
, wie es im Artikel hieß.
„Auf mich macht sie keinen besonders verängstigten Eindruck“, bemerkte J. P. „Du hingegen wirkst jedoch etwas versteinert.“
„J. P., ich …“
„Ich will nicht nach einem anderen Lektor für Sutherlin suchen. Aber wenn es sein muss, tue ich es. Mir ist es egal, ob sich das Buch nur verkauft, weil es so viel Sex enthält. Aber ich will nicht, dass irgendwer da draußen glaubt, dass Autoren mehr tun müssen, als zu schreiben, wenn sie bei Royal einen Vertrag haben wollen.“
Zach rieb sich die Stirn.
„Ich schwöre dir, es geht wirklich nur ums Buch. Und nein, du musst keinen anderen Lektor für sie suchen. Ich weiß, dass wir gemeinsam etwas Großartiges erschaffen können.“
„Das denke ich auch.
Wenn
du dich auf die Arbeit konzentrierst.“ J. P. klang skeptisch.
„Ich bin konzentriert.“
„Easton, du weißt, ich bin ein alter Mann. Mein Gehör lässt nach, und ich habe zwei Knie, die es nicht mehr lange machen. Aber meine Augen sind immer noch hervorragend. Seit dem Tag, an dem du hier angekommen bist, hast du nicht ein einziges Mal gelächelt und es auch so gemeint. Und als ich eben in dein Büro kam und dich bei der Lektüre ihres Buches erwischt habe, hast du gestrahlt wie ein Junge, der gerade die versteckte
Playboy
-Sammlung seines Vaters gefunden hat. Ich habe auch schon versucht, im Bett zu schreiben, doch weit gekommen bin ich damit nie.“
Zach öffnete den Mund zum Protest, aber J. P. brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen.
„Du kannst erst einmal weiter mit Sutherlin arbeiten. Nimm einfach den Rat eines alten Mannes an …“
„Lieber nicht.“
J. P. streckte die Hand aus und nahm sich das Manuskript. Er schlug es willkürlich irgendwo auf und pfiff leise durch die Zähne. Zweifellos hatte er gerade eine der zahllosen erotischen Begegnungen erwischt, die es in diesem Buch gab.
„Um mit den Worten von Charlotte Brontë zu sprechen“, begann J. P. „
Das Leben ist so beschaffen, dass das Ereignis den Erwartungen nicht entsprechen kann, will und wird
. Oder in meinen eigenen Worten – pass auf, dass es auf dem Papier bleibt, Easton.“
Zach biss die Zähne zusammen und schwieg. J. P. schnappte sich die Zeitung mit Zachs und Noras Foto und ließ ihn mit ihrem Buch allein.
Zach schloss die Augen und beschwor ein Bild von Grace herauf. Gott, er war so froh, dass sie in England war, wo sie dieses Foto nicht zu Gesicht bekam. Er war nicht sicher, warum er sich überhaupt ihretwegen sorgte. Selbst wenn sie das Foto zu Gesicht bekäme, wenn sie ihn mit einer anderen Frau sähe, würde es ihr etwas ausmachen? Natürlich nicht. Wenn dem so wäre, wäre sie jetzt hier bei ihm in New York.
Mit einem erschöpften Seufzen blätterte er zur nächsten Seite, die er mit einer Büroklammer markiert hatte. Caroline schläft nach einem heftigen Streit mit ihrem Liebhaber in einem anderen Zimmer. William wacht auf und schleicht auf leisen Sohlen zu ihrer Tür. Öffnet sie nur einen Spalt, zögert und lauscht, bis er sie atmen hört. Dieses Bild quälte Zach. Sein letztes Jahr mit Grace war ein Albtraum aus geschlossenen Türen und getrennten Zimmern gewesen. Trotzdem verging keine Nacht, ohne dass er wenistens einmal nach seiner schlafenden Frau geschaut hatte. Bis zu diesem grauenhaften Abend, als er ihre Tür verschlossen vorfand. Am nächsten Tag hatte J. P. angerufen und ihn nach New York eingeladen, um für Royal House zu arbeiten. Er hatte ihm den Posten als Cheflektor im Büro in L. A. versprochen, sobald der dortige Cheflektor in den Ruhestand ging. Zach hatte nicht einmal nach seinem Gehalt gefragt, sondern gleich zugesagt.
Warum ließ er zu, gerade jetzt daran zu denken? Er musste dem Buch und seiner geheimnisvollen Autorin gegenüber objektiv bleiben. Dieser Autorin mit dem dunklen Haar, dem roten Kleid und den brennenden Worten.
Pass auf, dass es auf dem Papier bleibt, Easton …
Leichter gesagt als getan.
5. KAPITEL
D as Telefon klingelte um sieben Uhr abends, und der Anruf selbst bestand aus lediglich sieben Worten – ihr
„Hallo“,
gefolgt von seinem
„Um neun im Club. Mit Augenbinde“.
Mit zitternden Händen legte sie auf und ging unter die Dusche
.
Sie traf um 8.46 Uhr im Club ein.
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