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Das Locken der Sirene (German Edition)

Das Locken der Sirene (German Edition)

Titel: Das Locken der Sirene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Reisz
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Freunde zu finden. Aber sie waren wohl alle in sein Handy eingespeichert, und das Handy hatte er bei sich, wo auch immer er jetzt steckte. Sie kramte in seinem Kleiderschrank und seiner Dreckwäsche, doch sie fand nichts, das ihr einen Hinweis darauf gab, wo er stecken könnte.
    Nora setzte sich auf sein Bett und öffnete die Schublade seines Nachtschränkchens. Sie wusste, Wesley wäre alles andere als begeistert davon, dass sie in seinen Sachen wühlte. Er würde vermutlich einen ziemlichen Schock bekommen, wenn er die Sachen sah, die
sie
in
ihrem
Nachtschränkchen aufbewahrte. Aber in seinem schien es nichts Hilfreiches oder Verfängliches zu geben – ein Lippenpflegestift, ein Ersatzschlüssel für sein Auto. Unter dem Ordner mit seinen medizinischen Unterlagen fand sie ein kleines Fotoalbum. Sie nahm es heraus und lächelte unter Tränen, als sie es aufklappte. Das Album war mit Fotos aus ihrem letzten Sommer gefüllt.
    Sie blätterte die Seiten durch und erinnerte sich wieder … Zuerst war sie eher misstrauisch gewesen, weil Wesley sie an einem Sonntagmorgen im Mai so früh geweckt und ihr gesagt hatte, sie solle aufstehen und sich Jeans und Stiefel anziehen. Er hatte sie an diesem Tag in seinem verbeulten gelben VW Käfer gefahren, und unterwegs hörten sie sonderbare Musik. „Wer ist das?“, hatte sie gefragt. „Wilco.“ – „Und das?“ – „Ben Folds.“ Schließlich hatte er sie gefragt, welches das letzte Album gewesen sei, das sie gekauft hatte. Sie musste ungefähr fünf Minuten nachdenken, ehe sie sich wieder daran erinnerte – es war
Ill Communication
von den Beastie Boys. 1994. Wesley war damals noch ein Kleinkind gewesen und sie etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre alt.
    Nach einer langen Fahrt erreichten sie eine Farm – ein Gestüt, um genau zu sein. Wesley hatte ihr erzählt, er sei mit Pferden aufgewachsen. Sein Vater war ein Pferdetrainer, und seine Mutter machte die Buchhaltung auf einem Gestüt in Kentucky. Aber an diesem Tag sah sie Wesley zum ersten Mal in der Nähe dieser großen Tiere. Für jemanden, der von Mutter Natur so großzügig bedacht worden war und so verflixt gut aussah, war er oft nervös und verunsichert. Aber in der Sekunde, als er unter Pferden war, wurde er zu einer anderen Person. Er bewegte sich wie selbstverständlich in der Herde, klapste den Pferden auf die Kruppe, seine Bewegungen waren geübt und sicher. Er verbrachte eine gute Dreiviertelstunde damit, drei oder vier Pferde aus dem Stall zu holen, sie zu satteln und mit ihnen eine Runde im Paddock zu drehen.
    „Da ist aber jemand wählerisch, kann das sein, Kleiner?“, hatte sie ihn gefragt. „Jetzt such dir schon ein Pferd aus, und los geht’s.“
    „Ich suche keins für mich.“ Behände stieg er von einem großen Appaloosa. „Ich kann jedes Pferd reiten. Ich versuche eins für dich zu finden. Du brauchst ein braves Tier, weil du noch Anfängerin bist.“
    „Ich nehme alles, solange es kein Wallach ist“, hatte sie ihm erklärt.
    „Was ist so falsch an einem Wallach?“
    „Wir hätten nichts, worüber wir uns unterhalten könnten.“
    Wesley hatte daraufhin gelacht. Für einen Moment sah sie den Mann, der er in zehn oder zwanzig Jahren sein würde – stark und liebenswert, sogar noch hübscher als jetzt schon und mit jedem Jahr ein bisschen weniger unschuldig. Sie beneidete die Frau, mit der er einmal zusammenkommen würde.
    Nachdem er sich das vierte Pferd angesehen hatte, entschied er sich für eine junge Fuchsstute namens Speak easy.
    „Sie ist klug und gehorsam – perfekt für einen Anfänger.“ Wesley reichte ihr die Zügel.
    „Klug
und
gehorsam – ich sollte dich Søren vorstellen“, flüsterte sie Speak easy ins Ohr. „Magst du auch Gerten?“
    Nora erinnerte sich, wie sie ihm zurück in den Stall gefolgt war, wo er für sich ein Pferd aussuchen wollte. Ein siebzehn oder achtzehn Jahre altes Mädchen war neben ihm hergegangen und hatte ihm Vorschläge unterbreitet. Nora waren die bewundernden Blicke nicht entgangen, die das hübsche Mädchen Wes zuwarf. Wesley hingegen hatte nur Augen für die Pferde gehabt.
    „Ich nehme ihn hier“, sagte er schließlich und zeigte auf einen großen muskulösen Rotfuchs. „Wie heißt er?“
    „Bastinado“, sagte das Stallmädchen. „Der Chef hat ihm den Namen gegeben. Keine Ahnung, wieso.“
    „Tritt er den Leuten gern auf die Füße?“, hatte Nora gefragt.
    „Oh ja, das macht er ständig“, sagte das Mädchen und schaute Nora das erste

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