Das Locken der Sirene (German Edition)
sie verhalte sich in letzter Zeit irgendwie anders – stiller, wütender. Den einen Tag könne sie es kaum erwarten, zu arbeiten, während sie sich am nächsten rundheraus weigerte. Sie erklärte ihm, wie beschäftigt sie damit war, ihr neues Buch zu überarbeiten. Dass ihr neuer Lektor ein sturer Hund war, der ihr aber die größte Chance ihres Lebens bot, die sich zugleich als ihre größte Herausforderung erwies. Søren schien skeptisch zu sein. Er fragte sie, ob sie ihm etwas verschwieg. Endlich war die Stunde, für die er bezahlt hatte, vorbei, und Nora hatte sich bereit gemacht zu gehen. Auf ihrem Weg zur Tür hinaus hatte Søren sie mit nur einem Wort zurückgerufen – „Wesley.“
Nora hatte sich langsam zu ihm umgedreht. Sie hatte versucht, ganz ruhig zu klingen, als sie fragte: „Was ist mit ihm?“
„Wenn wir uns das nächste Mal treffen, Kleines, haben wir noch einiges mehr zu besprechen.“
Ihr Herz zuckte schmerzlich zusammen, weil er den alten Kosenamen verwendete. Aber sie schaute nur ausdruckslos in sein schönes Gesicht, packte ihre Spielzeugtasche fester und ging. Nach all den Jahren und so viel Übung wurde sie allmählich richtig gut darin.
Nora saß jetzt hinter dem Lenkrad ihres Wagens und schloss die Augen. Sie flüsterte ein Dankgebet, weil Søren sie nicht berührt hatte. Denn das war an ihrem letzten Jahrestag passiert. Sie war zu ihm nach Hause gegangen – viel zu spät am Abend. Sie hatte sich von ihm ein Glas Wein geben lassen. Sie hatten sich über gemeinsame Freunde unterhalten und sogar eine Partie Schach am Küchentisch gespielt, auf dem er sie früher so oft und so brutal geliebt hatte. Für ein paar Minuten hatte sie sich erlaubt, zu vergessen, dass sie nicht länger sein Eigentum war. Eine Strähne ihres Haars fiel ihr ins Gesicht, als sie sich vorbeugte, um ihren Läufer zu ziehen. Søren strich ihr die Strähne hinter das Ohr. Er liebkoste ihre Wange mit dem Daumen. Nach wenigen Minuten waren sie in seinem Schlafzimmer, und sie war an den Bettpfosten gefesselt. Er schlug sie in jener Nacht so hart, dass sie fast an ihren Tränen erstickte. Als er ihr genug Schmerz zugefügt hatte, band er sie los, und sie brach in seinen Armen zusammen. Seine Finsternis war verbraucht, und er legte sie auf sein Bett und liebte sie so zärtlich, dass sie wieder weinte. Früher, als sie noch zusammen gewesen waren, hatte er immer mit ihr geredet, wenn er in ihr war. Manchmal beschrieb er bis ins kleinste Detail, wie groß sein Verlangen nach ihr war. Manchmal nahm er sie einfach nur und nannte sie sein Eigentum, seinen Besitz. In jener Nacht aber sprach er dänisch, während er sie liebte. Die Sprache, in die er nur dann verfiel, wenn sein Herz am weitesten offen stand. Er hatte ihr ein wenig Dänisch beigebracht, als sie ein rastloser Teenager gewesen war. Diese Sprache war einer der geheimen Wege für sie gewesen, miteinander zu kommunizieren. Sie hatte in den letzten vier Jahren der Trennung viel vergessen. Aber nie würde sie
Jeg elsker dig
vergessen. Das war Dänisch für
Ich liebe dich
, und er flüsterte es immer und immer wieder in ihre Haut.
Danach blieb er in ihr und zog sie hoch, bis beide mitten auf seinem Bett saßen. Ihre Beine waren um seine Hüften geschlungen, ihre Arme lagen um seine Schultern. Er fuhr mit beiden Händen an ihrem geschundenen Rücken auf und ab und küsste ihren nackten Hals. Sie bewegte sich langsam und schwelgte in dem Gefühl, ihn nach so langer Zeit wieder in sich zu spüren.
„Du vermisst es“, sagte er, und sie wusste, er sprach über ihr Halsband. Sie hatte es mitgenommen, als sie ihn vor vier Jahren verlassen hatte. Sie konnte es seitdem nicht mehr tragen, aber sie brauchte es immer in ihrer Nähe.
„Ja, ich vermisse es.“ Sie legte den Kopf in den Nacken, damit er ihren bloßen Hals besser erreichen konnte. Dann neigte sie ihn nach vorn, und er küsste sanft ihre geschundenen Lippen. Wenn sie sich einredete, es gebe nur diesen Tag und kein Gestern und kein Morgen – dann könnte sie für immer bei ihm bleiben.
„Du kannst zu mir zurückkommen, Eleanor. Jederzeit.“
„Das kann ich nicht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie brauchen dich mehr als ich. Ich darf dich nicht zerreißen.“
„Es ist
mein
Leben“, erinnerte er sie. „Du hast mein Leben bereits entzweigerissen, als du von mir fortgelaufen bist.“
„Lass“, sagte sie, und heiß brannten die Tränen in ihren Augen. Ihre Brust hob und senkte sich, und sie klammerte
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