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Das Löwenamulett

Das Löwenamulett

Titel: Das Löwenamulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schwieger
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und hatte den Schnabel weit aufgerissen. Auf der anderen Seite des Amuletts war der Kopf eines Löwen zu sehen, eines brüllenden Löwen mit einem großen Maul, darüber die vier Buchstaben F G L M.
    »Hast du eine Ahnung, was das ist?«, fragte ich ratlos.
    »Ein Greif und ein Löwe«, erwiderte Delia.
    »Das habe ich auch erkannt«, sagte ich. »Ich meine, wer trägt so etwas? Und was bedeuten diese Buchstaben?«
    »Ich habe keinen blassen Schimmer«, flüsterte Delia. »Ich habe so etwas noch nie gesehen. Wir könnten meinen Vater fragen, vielleicht kann der uns weiterhelfen. Er kennt sich doch mit Mythen und Fabelwesen so gut aus. Ich glaube, er schreibt gerade an einem Gedicht über so etwas.«
    »Sollen wir ihn wecken?«
    »Nein, bloß nicht. Dann müssten wir ihm erzählen, dass Myron heute Nacht hier war, ein flüchtiger Sklave. Das findet er bestimmt nicht gut. Aber er steht immer früh auf, mit dem Hahnenschrei. Aurora musis amica*, sagt er immer. So lange müssen wir wohl warten.«
    Und das taten wir dann auch. In dieser Nacht bekamen wir kein Auge mehr zu. Wir saßen in Delias Zimmer, betrachteten ratlos das Amulett, zerbrachen uns die Köpfe über die vier Buchstaben und hofften, dass Iupiter und Hera unsere Gebete erhört hatten und Myron auf seiner Flucht beschütz-ten.
    * Lateinisches Sprichwort: »Die Morgenröte ist die Freundin der Musen.« Im Deutschen etwa: »Morgenstund hat Gold im Mund.«
    31

    Eos, die Göttin der Morgenröte, hatte eben erst ihre Rosen-finger über den Horizont fern im Osten ausgestreckt, da schlüpften Delia und ich schon in unsere Tunicen, steckten unsere Haaren hoch, verließen das Zimmer und stiegen die Treppe hinunter. In der Küche fachte die Sklavin Lydia gerade das Herdfeuer an. Sie musterte uns erstaunt, denn um diese Zeit war Delia sonst nie auf. Auf Delias Frage, wo wir ihren Vater finden könnten, verwies uns Lydia auf den Garten: Der Herr mache seinen Morgenspaziergang.
    »Ich mache gerade die Milch warm. Wollt ihr …?«
    Ich glaube, sie hat ziemlich verdutzt geguckt, als wir bei ihren letzten Worten auf dem Absatz kehrtmachten und aus der Küche rannten.
    Wir fanden Delias Vater draußen im Garten. Er saß unter einem Olivenbaum auf einer Bank und kritzelte irgendwelche Verse auf seine Schreibtafeln. Von wegen Spaziergang …
    »Nanu«, sagte er verwundert, als wir beide vor ihm standen. »So früh schon auf den Beinen? Konntet ihr nicht schlafen?«
    »Doch, doch«, sagte Delia, »aber wir wollten dich etwas fragen. Schau mal«, sie hielt ihm das Löwenamulett unter die Nase, »das haben wir gestern auf dem Nachhauseweg auf der Straße gefunden. Weißt du, was das ist?«
    Ovid legte die Wachstafeln beiseite, nahm das Amulett und betrachtete es neugierig. »Und deswegen seid ihr so früh aufgestanden?«
    »Na ja, wir wollen vor allem den schönen Tag genießen, nicht wahr, Lycoris?«
    »Klar!«, sagte ich und nickte eifrig. Delias Vater musterte 32

    erst uns überrascht und betrachtete dann das Amulett eingehend von beiden Seiten. Schließlich schüttelte er den Kopf.
    »Nein, tut mir leid. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
    »Weißt du auch nicht, was die Buchstaben bedeuten könnten?«
    Ovid legte die Stirn in Falten. »F G L M … Tja, da kann ich nur raten. Das G könnte für Gryps stehen, das L für Leo.*
    Aber das F und das M? Ich habe wirklich keine Ahnung.«
    Delia seufzte und ließ die Schultern hängen, ich fragte mich, wozu Dichter eigentlich gut sind. Was nützt ihr ganzes Wissen, wenn sie nicht einmal so ein blödes Amulett …
    »Der Löwe steht für Kraft«, Delias Vater unterbrach meine Gedanken, »für Ausdauer und Tapferkeit. Aber auch für Aggressivität und Mordlust. Vor ein paar Jahren habe ich im Amphitheater mal einen gesehen, ein wahrhaft königliches Tier. Doch wer würde ein solches Löwenamulett tragen?«
    Ovid drehte das Amulett um. »Der Greif ist ein seltsames Tier. Einige behaupten, er sei ein Fabelwesen, andere sind fest davon überzeugt, dass es ihn tatsächlich gibt. Oder gegeben hat. Fern im Osten, im Zweistromland oder gar in Indien.
    Man hält ihn für den Diener der einen oder anderen Gottheit.
    Ich kenne ein schönes Relief, auf dem Apollo in Begleitung zweier herrlicher Greifen dargestellt ist. Der Greif begleitet auch die Göttin Nemesis, die Göttin des Schicksals, der Rache und der Strafe. Nemesis ist die Tochter der Nacht und des Ozeans, und sie ist die Mutter der schönen Helena. Ihr kennt
    * Gryps = Greif, Leo =

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