Das Los: Thriller (German Edition)
von Hand und Glut, nur übertönt von dem klatschenden Geräusch, das Henris Handrücken im Gesicht des Geldbüßers hinterließ. Vom Zigarillo und Henri gleichzeitig angegriffen, verlor Martin das Gleichgewicht, fiel vom Stuhl herunter und blieb stöhnend auf dem Boden liegen. Blut tropfte aus einer kleinen Risswunde über dem rechten Auge.
Henri hob den Zigarillo auf und zog daran, als wolle er testen, ob er noch brannte. Erfreut blies er den bläulichen Rauch in Martins Richtung.
»Pass auf, dass du dir hier drin nicht die Finger verbrennst. Ein falsches Wort kann tödlich sein. Glaub mir, mit Worten kennt sich hier keiner besser aus als ich.« Henri umrundete den Tisch und setzte sich wieder, als sei nichts gewesen. »Jetzt unterschreib den verdammten Zettel. Und pass auf, dass du den nicht vollblutest.«
Kurze Zeit später verließ Henri gut gelaunt sein Arbeitszimmer. Als er die Tür abschloss, hörte er, wie im Gang eine Lautsprecherstimme seine Nummer aufrief: »613, bitte bei der Wache melden!«
Henri seufzte. War es denn zu glauben? Hatte dieser Säufer nichts Besseres zu tun, als schnurstracks loszulaufen und ihn anzuschwärzen? Er hatte ihn nicht verletzen wollen. Zwar hatte er mittlerweile dreizehn Jahre seines Lebens im Knast verbracht, aber er war bei Weitem nicht so verroht wie die meisten anderen Häftlinge. Er hätte den anderen auch die Wahrheit erzählen können, warum er hier saß. Und dabei seine Unschuld beteuern. Doch derjenige, der sich selbst bemitleidete, war das leichteste Opfer. Hier waren alle unschuldig und schuldig zugleich. Henri hatte längst gelernt, dass hinter diesen Mauern die Rolle des Bösewichts gefragt war. Und die des Lehrmeisters. Er hatte dem Novizen nur eine schmerzhafte Lektion erteilt, die ihn vor noch schmerzhafteren Lektionen bewahren sollte. Hätte der Geldbüßer nicht seinen Verstand versoffen, wäre ihm das klar geworden, und er hätte auf der Krankenstation erzählt, dass er hingefallen sei. Nun würde Henri eine Anzeige wegen Körperverletzung bekommen.
Er seufzte erneut. Schweren Herzens steuerte er die mit Panzerglas versehene Wachstation in der Mitte des Stockwerks an. Als er angekommen war, klopfte er gegen die Scheibe. Rösler hatte Dienst. Er war einer der ältesten Wachhabenden, und eigentlich verstanden Henri und er sich gut. Rösler sah auf und lächelte. Was findet er daran lustig, fragte Henri sich. Der Beamte betätigte die Sprechanlage vor sich.
»Sie haben Besuch!«, klang es blechern aus dem in der Scheibe eingelassenen Lautsprecher.
Henri verstand nicht. Was meinte Rösler? Üblicherweise wurde man nach einer Schlägerei aufgefordert, in seine Zelle zu gehen und weitere Anweisungen abzuwarten.
Rösler bemerkte seine Irritation. »Holen Sie Ihre Sachen, es geht ab auf den Hof!«
Henri machte keine Anstalten, sich zu bewegen.
»Was ist los? Sie sind seit einer Ewigkeit in Santa Fu. Wissen Sie nicht, was man macht, wenn man Besuch hat?« Rösler lachte, doch dann erstarrte sein Lächeln plötzlich. »Ach du heilige Scheiße. Sie hatten hier drin noch nie Besuch, richtig?«
Henri stand immer noch dort wie versteinert. Doch langsam begriff er, was Rösler ihm mitzuteilen versuchte. Es ging gar nicht um den Vorfall eben. Irgendjemand wollte ihn besuchen. »Was für ein Besuch?«, fragte er wie ferngelenkt.
Nun begann der Beamte wieder breit zu grinsen. »Das ist es ja«, sagte er. »Der Kollege hat gefunkt, dass im Besucherraum ein Mönch auf Sie wartet.«
»Ein was?« Henri glaubte, sich verhört zu haben.
»Ein Mönch. So mit Kutte und allem Drum und Dran! Sind Sie auf Ihre alten Tage noch gläubig geworden? Denken Sie wirklich, Sie ergattern noch einen Platz da oben im Himmel?« Rösler lachte nun noch lauter.
»Sie haben recht«, antwortete Henri. Sein Blick prallte am Panzerglas ab.
»Womit?«, fragte Rösler und schnappte vor Lachen nach Luft.
»Ich hatte noch niemals Besuch. Ich habe keine Ahnung, wie das geht – Besuch zu bekommen.«
4
L AS V EGAS
Trisha erwachte erst, als das Flugzeug bereits die Parkposition erreicht hatte. Gewöhnlich bekam sie während eines Fluges kein Auge zu. Doch dieses Mal war sie kurz nach dem Start in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen und erst aufgeschreckt, als ihr Sitznachbar sich erhob und dabei mit seinem Knie das ihre touchierte. Peinlich berührt, weniger vom körperlichen Kontakt mit dem Nebenmann als vielmehr wegen des durch den langen Schlaf erlittenen Kontrollverlusts, beeilte
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