Das Los: Thriller (German Edition)
goldenen Lettern Hier wohnt Phoenix stand.
»Kann ich mir das mal im Internet anschauen?«, fragte Henri und deutete auf den Computer des Direktors.
»Ist kaputt. Wird erst nächste Woche repariert«, erwiderte dieser mit einem Unterton des Bedauerns. »Ich stelle Ihnen einen Schein zur Internetbenutzung aus, und Sie führen sich das in der Bibliothek zu Gemüte. Aber alles mit der Ruhe. Aus der Justizbehörde habe ich gehört, dass als Erstes diejenigen entlassen werden sollen, die nicht ganz auf dem Damm sind. Nahe an der Haftunfähigkeit. Die Alten und Kranken. Von denen am wenigsten Gefahr ausgeht. Ich denke, danach nimmt man sich peu à peu die anderen vor.«
Henri nickte nachdenklich. Vielleicht war alles Fügung. Der Mönch, die Lotterie. Wenn es irgendeinen Weg gab, dass er rechtzeitig zur Ziehung entlassen wurde, dann würde er ihn finden. Seit Tagen wartete er schon auf einen Anruf von Verbeeck, der sich zuletzt auf dem Weg nach Las Vegas befunden hatte, um sich noch einmal diesen Mönch vorzunehmen.
»Ich weiß, was Sie denken«, sagte der Direktor. »Aber ich bitte Sie: Machen Sie mir keinen Ärger. Jede Ihrer Eingaben landet auf meinem Schreibtisch. Sie sitzen hier bereits so lange – auf ein paar Monate mehr oder weniger kommt es da auch nicht an.« Er beugte sich erneut vor und drückte die Zigarette sorgfältig mit dem Daumen aus. »Henri, da draußen wartet niemand auf Sie – einen ehemaligen Sicherungsverwahrten. Tatsächlich schützen die Mauern hier Sie schon lange vor der Welt und nicht mehr umgekehrt.«
Schulze fixierte ihn und wartete auf eine Geste der Zustimmung. Henri ließ ihn schmoren, nahm einen letzten Zug und beugte sich vor, um seine Zigarette im Aschenbecher zu versenken. Dabei kamen sich ihre beiden Köpfe nahe.
»Glauben Sie an Gott?«, fragte Henri.
Der Direktor lehnte sich wieder zurück und zog die Augenbrauen zusammen.
»Ich habe schon gehört, dass Sie Besuch von einem Mönch hatten. Wollen Sie vielleicht ins Kloster gehen?«
Henri klopfte sich etwas Asche von der Hose. »Mal schauen, wohin der Herr mich noch so führt«, erwiderte er und verschränkte die Arme.
»Ich fürchte, erst einmal zurück in die Zelle. Ich meine selbstverständlich, in die Zellen «, erklärte der Direktor, stand auf und streckte ihm zum Abschied die Hand entgegen.
»Sie schmeißen mich also raus«, stellte Henri lakonisch fest und erwiderte den Händedruck.
Als er zur Tür schlenderte, blieb er unvermittelt stehen und deutete auf ein leeres, rundes Glas, das auf einer kleinen Anrichte stand.
»Wo ist denn Ihr Fisch hin? Wie hieß er doch gleich – Moby Dick?«, fragte er.
»Verboten worden«, antwortete Schulze ärgerlich und fügte auf Henris verständnislosen Blick hinzu: »Wegen Tierquälerei. Angeblich zu klein – das Glas. Fische sind dazu geboren, frei zu sein, so die Dienstanweisung von der Justizbehörde. Habe ihn erlöst. Im Klo runtergespült.«
»Was für eine verrückte Welt«, murmelte Henri kopfschüttelnd.
35
L AS V EGAS
Auch nach einem langen Bad fühlte Trisha sich noch immer schmutzig. Obwohl das Blut längst abgewaschen war, spürte sie es weiter auf ihrer Haut. Auf Chads Rat hin hatte sie sich mit einer Tönung – davon schleppte sie stets einige Proben in ihrem Kulturbeutel mit – die Haare gefärbt.
Ausgerechnet rot.
Mit einem Becher Tee in der Hand beobachtete sie Chad, der den Inhalt des Aktenkoffers auf dem Teppich des Hotelzimmers ausgeleert hatte. Vom Fenster aus konnte sie den Eingang des Hotels nicht einsehen. Jedoch spiegelte sich in den Fensterscheiben der gegenüberliegenden Gebäude noch das Blaulicht.
Chad hatte den Koffer mit einer Sorgfältigkeit durchsucht, die Trisha schaudern ließ. Als sei er sein Leben lang Zöllner oder Einbrecher gewesen. Schließlich hatte er sogar sein rotes Schweizer Taschenmesser hervorgeholt, das er stets bei sich trug, und damit den Boden und Deckel des Koffers aufgeschlitzt.
»Nur dieser Haufen Papiere«, schimpfte er enttäuscht und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Was hast du erwartet?«, fragte Trisha irritiert.
Chad verzog die Mundwinkel. »Geld, ein Los, irgendetwas zu dieser Lotterie. Noch nicht einmal der von dir unterschriebene Vertrag, mit dem du dein Vermögen eingesetzt hast, ist dabei.«
»Was soll es. Er ist tot«, sagte Trisha und fröstelte erneut. Der heiße Becher wärmte wenigstens ihre Handinnenflächen.
»Das ist ja, was mir Sorgen macht«, meinte Chad nachdenklich.
Sie
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