Das Los: Thriller (German Edition)
kannte diesen Gesichtsausdruck vom Pokerspielen, wenn Chad konzentriert Karten zählte und sich dabei seine Outs ausrechnete. »Sorgen« war gelinde ausgedrückt, dachte Trisha. In ihrem Beisein war ein Mensch gestorben, und so wie es aussah, war er sogar ermordet worden. Und vielleicht hielt man sie für die Mörderin.
»Wie waren die genauen Konditionen der Lotterie?«, fragte Chad.
»Höchstens vier Mitspieler. Die Ziehung findet statt, wenn alle ein Los gekauft haben. Einsatz ist das gesamte Vermögen. Gewinn ein Preis von unermesslichem Wert«, repetierte Trisha und war erstaunt, wie geordnet sie noch denken konnte. »Und ein Mitspieler hat bislang noch kein Los erworben«, ergänzte sie.
»Also kann die Ziehung noch nicht stattfinden«, schlussfolgerte Chad. »Aber dein Vermögen hast du eingesetzt … Und der Mönch ist jetzt tot.«
Nun verstand Trisha, worauf er hinauswollte.
»Einer muss noch besucht werden, um das Los zu zeichnen«, sagte sie.
»Sonst findet die Lotterie nicht statt, und dein Einsatz ist futsch«, erklärte Chad.
Trisha stellte den Becher auf den Tisch und kam auf den Knien zu ihm gekrochen. Der Teppich brannte auf ihrer nackten Haut. Sie nahm eine Mappe mit Papieren vom Boden auf. »Was sind denn dies für Dokumente?«
»Keine Ahnung«, sagte Chad. »Sieht aus wie Klappbilder von … Bäumen.«
Trisha begann eines der Bilder auseinanderzufalten. Es bestand aus mehreren Seiten, die aneinandergeklebt waren und sie an einen der Starschnitte aus ihrer Jugend erinnerte. Während einige Seiten weiß und glänzend und somit fast neu wirkten, waren andere alt und vergilbt. Die Blätter, die den unteren Rand bildeten, schienen brüchig wie die Seiten eines sehr alten Buches. Als das Papier ausgeklappt vor ihr lag, erkannte sie darauf einen großen gezeichneten Baum. Vom Stamm zweigten zahlreiche Äste ab, die alle beschriftet waren. Trisha drehte das Blatt so, dass ein wenig Sonnenlicht darauf schien.
»Das sind Namen«, stellte sie fest. »Neben den einzelnen Ästen stehen Namen und Daten.« Sie fuhr mit dem Finger nach ganz unten zum Fuß des Stammes, wo die Schrift bereits stark verblasst war. »Klingen wie deutsche Namen. Hier unten in der Mitte zum Beispiel steht ›Hans‹ und dahinter ›Dosenberg‹ oder vielleicht ›Rosenberg‹. Dahinter ein Sternchen und eine Jahreszahl: ›1731‹ oder ›1737‹. Dann ein Kreuz mit der Zahl ›1784‹.« Trisha las weiter, während Chad ihr über die Schulter schaute. »Und daneben ›Friederike‹, auch wieder mit Sternchen und Kreuz.« Trisha folgte mit dem Finger dem Stamm nach oben. »Die Daten werden immer jünger. Hier ›1835‹ und ›1847‹. Und die Namen …«
»… klingen plötzlich englisch«, fiel Chad ihr ins Wort. »Hier: ›John Owen, 1888‹.«
»Das ist kein Gemälde, sondern ein Stammbaum«, stellte Trisha stolz fest. Sie spürte Chads Atem in ihrem Nacken und bewegte die Schultern, als müsse sie irgendetwas abschütteln.
»Die Einträge ganz oben sind aus der heutigen Zeit«, bemerkte Chad.
Trishas Zeigefinger blieb auf einem Namen oben rechts stehen. »Patrisha Wilson, geboren 15. April 1990«, las sie langsam ab und starrte Chad mit offenem Mund an.
Chad beugte sich vor, um den Namen noch einmal selbst zu lesen. »Heilige Scheiße!«, rief er aus. »Guck hier, hinter deinem Namen steht die Adresse deiner Eltern in England. Und im Ast darunter stehen auch ihre Namen und Geburtsdaten.«
»Mein Stammbaum.« Trisha hielt die Luft an, um sie nach einem kurzen Moment wieder laut auszustoßen.
»Hier – neben dem Namen deines Vaters steht etwas!«, rief Chad.
»Abgelehnt«, las sie stirnrunzelnd vor. Dann streckte sie sich nach den anderen zusammengefalteten Papieren, die genauso aussahen wie das ausgebreitete vor ihnen.
»Vier Stück«, stellte sie fest.
»So viele, wie es Mitspieler in der Lotterie gibt«, ergänzte Chad.
Trisha breitete einen weiteren Stammbaum aus. Auch er schien aus Blättern unterschiedlichen Alters zusammengefügt zu sein. Trisha zeigte auf dieselbe Stelle, wo auf ihrem Stammbaum ihr Name stand.
»Hen-ri Frei-hold«, sagte sie; da dies für sie ein ausländischer Name war, klang ihre Aussprache ein wenig holprig. Wieder riss sie den Mund weit auf. Ihr kamen die letzten Worte des Mönchs in den Sinn. Hatte er nicht »Henri« zu ihr gesagt?
»Kennst du den?«, fragte Chad.
Trisha schüttelte den Kopf.
Chad hatte bereits einen weiteren Stammbaum aufgeschlagen. »Der dritte Kandidat
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