Das Los: Thriller (German Edition)
Vase auf ihrer Kommode steckte.
Wenn er genügend Rosen schenkte, dann würden deren Dornen vielleicht irgendwann ihren Panzer zerlöchern und ihr Herz auch für ihn öffnen.
Das zumindest stellte er sich des Öfteren vor. Doch er war kein Tor, und wenn er aufrichtig zu sich selbst war, wusste er, dass seine Chancen ausgesprochen schlecht standen.
Aber die Vorstellung, dass es geschehen könnte, trug ihn vom Morgen zum Abend und vom Abend zum Morgen. Dies war sein Los. Seine Hoffnung auf die Erfüllung seiner größten Träume. Wenn man ehrlich war, dachte er, dann war das ganze Leben eine Lotterie.
Rasch entfernte er sich von ihrer Tür, um tunlichst zu vermeiden, Zeuge zu werden, wenn sie die Rose fand. Er eilte die Treppe hinab, griff seinen Mantel und sah zu, dass er eine der Mietdroschken erwischte.
Gerade noch rechtzeitig erreichte er die Porzellanfabrik in der Leipziger Straße. Kein Geringerer als der König erwartete ihn dort. Von Weitem schon hatte Calzabigi die Leibgarde vor dem Eingang erblickt, was darauf schließen ließ, dass Friedrich bereits anwesend war.
Erst am Abend zuvor hatte ein Bote ihm die Einladung überbracht, worin der König ihn bat, ihm »anlässlich einer Inspektion der neuen Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur am kommenden Morgen um Schlag neun Gesellschaft zu leisten«.
Calzabigi folgte nun der Einladung mit einem mulmigen Gefühl. Drei Ternen und sogar zwei Amben, die er diesmal nicht einem Betrug, sondern allein einem bösen Streich der Fortuna zuschrieb, hatten die letzte Ziehung für die Lottokasse wieder eher mager ausfallen lassen. Seine bösen Vorahnungen verstärkten sich noch, als er am Eingang auf Hainchelin traf.
Dessen Gesicht spiegelte seine eigene Überraschung wider. Offenbar hatte auch Hainchelin auf ein exklusives Zusammensein mit dem König gehofft.
»Ihr also auch«, bemerkte Hainchelin pikiert, als beide gleichzeitig durch das Tor in die Fabrik drängten.
Calzabigi überhörte den feindlichen Ton in Hainchelins Worten und fragte höflich: »Wisst Ihr, worum es geht?«
»Nun ja, wenn er Euch lädt und mich, braucht es kein Orakel. Das Ergebnis der letzten Ausspielung war verheerend …«
Der Hofmarschall nahm sie beide in Empfang. Er geleitete sie an den Produktionsräumen vorbei und führte sie über mehrere Treppen in ein edel eingerichtetes Zimmer, das ebenso gut Teil des königlichen Schlosses hätte sein können.
»Der Schauraum«, erläuterte der Hofmarschall, als er die verwunderten Blicke der beiden bemerkte, und fügte nicht ohne Stolz an: »Hier wird das wertvollste Porzellan Interessenten aus aller Welt präsentiert.«
Tatsächlich war der Raum über und über mit Porzellan gefüllt. Calzabigi erkannte ganze Services in den verschiedensten Dekoren. Auf weiß gedeckten Tischen standen Vasen, Dosen, Schalen, Schnapsfässer, Kannen, Kerzenhalter, Zucker- und Sandstreuer, Urnen und Krüge – alles aus Porzellan. Dazwischen standen überall die unterschiedlichsten Porzellanfiguren. Von der Decke leuchteten zwei riesige Kronenleuchter hinab, welche die glänzenden Oberflächen der wertvollen Ausstellungsstücke zum Funkeln brachten. Außerdem hingen an allen Wänden mit goldenen Ornamenten verzierte Spiegel, die den Raum größer erscheinen ließen, als er war.
Calzabigi drehte sich um die eigene Achse, um alles zu erfassen. Er glaubte zudem, in der Körperhaltung Hainchelins – erstmals, seit er ihn kannte – so etwas wie Ehrfurcht zu entdecken.
»Der König inspiziert gerade die Produktion. Ich werde ihn darüber unterrichten, dass Ihr hier auf ihn wartet«, verkündete der Hofmarschall und zog sich mit einer Verbeugung zurück.
»Warum empfängt der König uns wohl hier?«, fragte Calzabigi.
»Vermutlich ist er nur wegen der Inspektion nach Berlin gekommen«, entgegnete Hainchelin. »So sparen wir uns immerhin die Fahrt raus nach Sanssouci.«
Mit neugierigen Blicken schlenderte er durch die Ausstellung. Vor einigen kunstvoll gearbeiteten, bunt glasierten Figuren blieb er stehen.
»Schaut an, was wir hier haben!«, frohlockte er. Er streckte sich und griff nach einer Figur in der hinteren Reihe.
»Seid bloß vorsichtig!«, rief Calzabigi sorgenvoll.
Hainchelin ignorierte seinen Ruf. Er balancierte die kleine Statue auf seiner Hand und streckte sie in Calzabigis Richtung.
»Die Fortuna höchstpersönlich! Wie filigran sie gearbeitet ist. Schaut, das Fruchtmaß auf ihrem Kopf und das Füllhorn in ihrer Hand«, schwärmte der
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