Das Los: Thriller (German Edition)
müssen. Er hatte die Lage erläutert, in der er sich befand. Dass er das bei der Lotterie hinterlegte Geld dringend für die Behandlung seiner Tochter benötigte und es unmöglich für die noch nicht einmal fertige Wohnung hergeben könnte. Der Beamte hatte ihm in aller Ruhe zugehört, anschließend ein dickes Buch unter seinem Schreibtisch hervorgeholt und vor Pradeep gelegt. Das, hatte er gesagt, seien die Spielregeln. Und nirgends in diesem Buch würde stehen, dass man von seinem Gewinn zurücktreten könne.
»Sie sind ein glücklicher Gewinner«, hatte er abschließend gesagt und ihn mit einem Händedruck verabschiedet, bei dem sich der Siegelring des Mannes in seinen Ringfinger bohrte.
Pradeep schaute nun hinunter. Unter ihm öffnete sich ein dunkler Abgrund.
Etwas kitzelte an seinem Bein. Erst nach mehreren Sekunden merkte er, dass es das Handy in seiner Hosentasche war. Mit vor Kälte zitternder Hand nahm er es heraus und schaute aufs Display. Er wusste, was ein Anruf von Janni bedeuten würde.
»Ja?«, schrie er in den Hörer.
»Pradeep?« Es war die Stimme von Mr. Sandip, seinem Chef.
Eine Böe schlug Pradeep eine Ladung Wasser wie Gischt ins Gesicht, sodass es ihm die Stimme verschlug.
»Schlimmer Regen ist das. Ich wollte dir nur sagen, dass du morgen nicht mehr kommen musst. Wir schließen!«
»Schließen?«, wiederholte Pradeep verblüfft.
»Ich kann dich nicht verstehen. Der Regen … er ist zu laut!«, schrie Mr. Sandip. »Hast du verstanden? Ich habe den Laden verkauft. Sie werden hier ein Hochhaus bauen, und ich gehe weg von hier. Weg aus Mumbai!«
»Was … was heißt das?«, stammelte Pradeep.
»Wie gesagt, ich kann dich nicht verstehen!«, schepperte Mr. Sandips Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich muss die anderen anrufen. Und … es tut mir leid. Viel Glück!«
Das Gespräch wurde beendet. Pradeep ließ den Arm, mit dem er eben noch das Handy an sein Ohr gehalten hatte, langsam sinken. Seine Hand öffnete sich. Scheppernd fiel das Telefon auf den nassen Betonboden und rutschte zur Kante. Im nächsten Augenblick wurde es von der Tiefe vor Pradeep verschluckt.
Ein greller Blitz teilte den Himmel in zwei Hälften, und fast gleichzeitig erschütterte ein dunkles Grollen die Umgebung. Pradeep legte seine Hände in die Hüften und blickte in den Himmel über ihm.
Die dunkle Armee stand vor den Toren der Stadt, um einen Blutzoll zu fordern.
32
L AS V EGAS
Das Licht des neuen Tages schmerzte. Sie blieb noch eine Zeit lang mit dem Kopfkissen über dem Gesicht liegen, während ihr Gehirn die in der Nacht zerfetzten Erinnerungen an den vorigen Tag Stück für Stück wieder zusammensetzte. Mit einem Male richtete sie sich ruckartig auf.
Das Bett neben ihr war leer, aber eindeutig benutzt. Stöhnend quälte sie sich zur Bettkante und sah bestätigt, was sie gefürchtet hatte: Sie war nackt. Mit vagen Erinnerungsbildern von Chad, der unter ihr lag und dessen Gesicht vor Lust verzerrt war, schlich sie zu der Schiebetür, die das Schlafzimmer vom Rest der Suite trennte.
»Guten Morgen, mein Schatz!«
Ein gut gelaunter Chad saß auf dem Sofa vor dem Fernseher, in dem irgendeine TV-Serie lief, und prostete ihr mit einem großen Glas Orangensaft zu.
»Ich habe dich schlafen lassen. Dachte, du brauchst ein wenig Erholung. Habe für dich Kaffee bestellt!« Chad hob mit der freien Hand eine silberfarbene Kaffeekanne in die Höhe, die vor ihm stand.
Trisha pustete eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht, schüttelte den Kopf, ohne etwas zu sagen, und tapste ins Badezimmer. Eine hoteleigene Gesichtsmaske und eine halbstündige Dusche später saß sie, in einen Bademantel gehüllt, Chad gegenüber und starrte den »Rio«-Schriftzug auf dem Kaffeebecher in ihrer Hand an.
»Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte sie schließlich und spürte dabei, wie jedes ihrer Worte die eigene Schädeldecke in schmerzhafte Schwingungen versetzte.
»Was meinst du?«, entgegnete Chad, der die Reste eines Croissants kaute und nur kurz seinen Blick vom Fernseher löste.
»Mit uns. Machen wir jetzt einfach so weiter, als sei nichts geschehen? Oder … geht jeder von uns seines Weges? Und sehen das, was letzte Nacht passiert ist, als Abschieds-Sex an?« Trisha machte eine kurze Pause. »Es ist doch was passiert, oder?«
Nun griff Chad nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Dann wandte er sich mit einem breiten Grinsen an Trisha. »Allerdings!«, sagte er. Mit festem Griff zog er sie über die Lehne
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