Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
anders als für meine drei Schwestern war für mich Musik mehr als eine schöne Nebensache. Ich wollte Musik leben . Wenn man auf dem Land groß wird, ist das alles andere als einfach. Meine Mutter ließ manchmal durchblicken, dass ich mein Geld doch auch in der Fabrik verdienen könnte … Das wollte ich auf keinen Fall. Ich wusste, dass ich aus meinem Heimatort weggehen musste, wenn sich mein Wunsch erfüllen sollte. Im September 1968, als ich den Sprung in die »weite Welt« wagte, war ich mit meinen knapp siebzehn Jahren noch sehr jung und unerfahren, unentschieden in vielem. Ich hatte mich an der Hochschule Carl Maria von Weber in Dresden beworben – mit einem Volkslied, einem Politsong und zwei Chansons. Eine bunte musikalische Mischung. Begleitet habe ich mich bei der Aufnahmeprüfung selbst, auf der Gitarre. Als die Zusage kam, konnte ich mein Glück kaum fassen!
Meine Anfangszeit in Dresden war geprägt von der Unbeholfenheit, die einen erfassen kann, wenn man vom Land in die Großstadt kommt. Das ging schon gleich am ersten Tag los. Mein Vater hatte mich mit unserem Trabant nach Dresden gefahren und mich samt Koffer und Federbett beim Studentenwohnheim abgesetzt. Er fuhr gleich wieder los, der Rückweg nach Thüringen war weit. Dann stellte sich heraus, dass ich im verkehrten Wohnheim gelandet war – offenbar hatte die Hochschule die Adressen verwechselt.
Ich quetschte mich also mit meinen sperrigen Utensilien in die Straßenbahn, um einmal quer durch ganz Dresden nach Hellerau zu fahren. Da saß ich mit rotem Kopf, Koffer und Federbett zwischen den anderen Fahrgästen, wie unangenehm und peinlich! Das was nicht der Einstand, den ich mir für mein neues Leben ausgemalt hatte!
Für die nächsten zwei Jahre war das Studentenwohnheim in Hellerau meine neue Bleibe. Es lag auf einem schön bewaldeten Grundstück, die Studenten waren nach Geschlechtern getrennt in zwei verschiedenen Häusern untergebracht. Ich bewohnte ein Zimmer im hinteren Teil des Hauses, das ich mir mit drei Instrumentalistinnen teilte – zwei Pianistinnen und einer Cellistin. Im Zimmer befanden sich zwei Doppelstockbetten, zwei Kleiderschränke und ein kleiner Tisch mit vier Stühlen. Außerdem – das Wichtigste – ein kleiner Flügel. Der war ständig besetzt wegen der beiden Pianistinnen. Es war für mich kaum möglich, zum Üben an das Instrument zu kommen. Still war es nie.
Der Unterricht war schulisch organisiert, besonders der Montag war vollgepackt. Neben Fächern, die wir gemeinsam hatten, gab es viel Einzelunterricht in den jeweiligen Hauptfächern der Studenten. In meinem Fall war das Gesang, Sprecherziehung und so weiter. Das Studium an der Hochschule war anspruchsvoll, wir wurden stark gefordert, weshalb ich mich anfangs wenig um das musikalische Nachtleben kümmerte.
Ich sang manchmal zur Gitarre im Studentenheim, und manchmal hörten mir andere dabei zu. Eines Tages fragte mich Ulli Pexa, ein gleichaltriger Gitarrist, ob ich nicht zu einer Probe der Fred-Herfter-Combo mitkommen wolle, sie suchten dort eine Sängerin. Warum nicht? Ich bestand den Test und hätte sofort bei der Combo anfangen können, die bekannte Stücke coverte und in Tanzschuppen der Umgebung auftrat.
Einziger Haken: Um regelmäßig neben dem Studium auftreten zu dürfen, brauchte ich die Erlaubnis der Hochschule. Frau Collum, meine Gesangslehrerin, war besorgt. Zukünftige Sänger sollten ihre Stimmen keinesfalls falschen Techniken aussetzen und sie damit womöglich ruinieren. Frau Collum wollte mich eigentlich zur Oratoriensängerin ausbilden, weil ich eine tiefe Altstimme hatte, fast am Tenor, und solche Stimmen für Oratorien dringend gesucht wurden.
Ich gehörte zu einer Seminargruppe, in der Studenten zusammengefasst waren, die nicht direkt von einer Musikschule gekommen waren. Ein buntes Sammelsurium an Talenten – Musiker, Sänger des klassischen Fachs und vier, die sich in der Kategorie »Unterhaltung« ausbilden lassen wollten. Nachdem eine meiner Mitstudentinnen das Handtuch geworfen hatte, die anderen beiden waren Männer, war ich die einzige »Chanson- und -Musical«-Studentin des Jahrgangs. Fächer wie Musikgeschichte, Musiktheorie, Philosophie und Sprachen – Russisch, Englisch und Italienisch – hatte ich mit den Klassiksängern gemeinsam, ebenso Schauspielunterricht, Sport und Ballett. Manchmal wurde durch die Räume getanzt. Fechten lernten wir auch, die klassischen Sänger brauchten das für die Opernbühne. In anderen
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