Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
Vom Netzwerk:
Hauptfächern wie Klavier und Sprecherziehung wurde man einzeln unterrichtet, aber das habe ich ja schon erwähnt. Mein wichtigstes Hauptfach war natürlich Gesang.
    Nachdem Frau Collum sich mit den Dozenten der Hochschule beraten hatte, gab sie mir eines Tages die Erlaubnis, mich schon während der ersten Studienjahre mit einer Band auf den Bühnen der Umgebung live auszuprobieren.
    Jetzt sang ich also an den Wochenenden auf Tanzbühnen in und um Dresden. Ausgerechnet der Montag war der Tag der anstrengenden Fächer. Musikgeschichte, Sprachen und Philosophie – in der DDR war das politisch-ideologischer Unterricht. Manchmal rettete ich mich nur mit Mühe über den Vormittag, so erschöpft war ich. Gott sei Dank gab es den »Frauenruheraum«, in den ich mich mittags kurz zurückziehen konnte. Die Pförtnerin wusste schon, dass es mir montagmittags regelmäßig schlecht ging. Eine halbe Stunde die Nacht aufarbeiten, dann war ich wieder aufnahmefähig.
    Am Ende des zweiten Jahres stand die Übergangsprüfung an, die – im jeweiligen Hauptfach –über den Wechsel von der Fachschule zur Hochschule entschied. Bei uns Sängern hieß das: Wer die Prüfung bestand, konnte zum Solisten ausgebildet werden. Wer nicht übernommen wurde, war »nur« als Chorsänger zugelassen, nach fünf Jahren war man mit dem Studium fertig.
    Ich schaffte es, ich kam weiter. Außerdem war ich ja sowieso die Einzige im Fach der populären Musik in meinem Jahr.
    Mit dem Beginn des dritten Studienjahrs zog ich von Hellerau in den Stadtteil Pieschen, in eine neue, nicht verwaltete Behausung. Weil die Stadtverwaltung Probleme hatte, alle Studenten unterzubringen, wurden uns ehemalige Obdachlosenunterkünfte zur Verfügung gestellt. Das war gewöhnungsbedürftig. Lauter Einraumwohnungen, Küche und ein Zimmer, ohne Bad natürlich, nur ein kleines Waschbecken in der Küche, mit Steinholzfußboden, sehr fußkalt. Besonders vorteilhaft für Sänger, man hatte ständig Schnupfen im Winter. Wir heizten mit einem alten Herd in der Küche, das andere Zimmer hatte keinen Ofen. Man kann sich vorstellen, wie warm es da war. Ich hatte eine Mitbewohnerin. Wir waren ständig unterwegs, entweder an der Hochschule im Unterricht oder sonstwo. Wer sollte sich um den Herd kümmern? Aber wir mussten keine Miete bezahlen, wenigstens etwas.
    2 »Klavier im Fluss« (Auszug), Text von Inge Branoner, Musik von Veronika Fischer & Band. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Inge Branoner

Veronika Fischer im »Fuchsmantel« – Besuch der Eltern im Studienort Dresden, 1969/70

Ich bekam ein Stipendium in Höhe von 180 DDR-Mark, das reichte gerade so zum Leben. Davon kaufte man sich eine Straßenbahnkarte, aß ein paarmal in der Mensa und fuhr hin und wieder mit dem Zug nach Hause, dann war das Geld auch schon wieder weg. Für Klamotten blieb nichts übrig. Als ich Uli Pexa Jahrzehnte später in Hamburg wiedertraf und wir die alten Zeiten aufwärmten, meinte er: »Du hast immer einen grün karierten Rock getragen.« Ich war überrascht, dass er das behalten hatte. »Ja«, nickte ich, »das war einer von zweien.«

Die Fred-Herfter-Combo, in der Mitte mit Saxofon Fred Herfter, zweiter von links Uli Pexa, rechts Manfred Nytsch, 1970

Kurz: Wir waren arme Studenten. Das Geld war schneller weg, als man glaubte. Aber wir vom »Unterhaltungszweig« konnten unser Auskommen wenigstens mit Muggen (den sogenannten musikalischen Gelegenheitsgeschäften) aufbessern – das war unser Ausdruck für Auftritte, für Gigs, wie man das im Westen nennt. Den rein klassisch orientierten Sängern war es dagegen unmöglich, Blues oder Rock zu spielen und sich damit etwas dazuzuverdienen, weil sie um ihre Perfektion fürchteten. In der Klassik sind die Formen des Zusammenspiels streng geregelt, Klassiker sind virtuos auf ihrem ganz speziellen Gebiet. Gute U-Musiker dagegen müssen genreübergreifend arbeiten können, sich flexibel auf neue musikalische Umgebungen einstellen und trotzdem ihre Virtuosität im Auge behalten, damit sie konkurrenzfähig bleiben.
    Inzwischen sind die Grenzen zwischen E und U viel durchlässiger geworden, damals war es noch ein Entweder-oder, auch wenn die DDR-Musikhochschulen in meiner Studienzeit eine Annäherung zwischen Klassik und Moderne gestatteten. Es gab da keine Ressentiments, sondern viel gegenseitigen Respekt und Anerkennung, was die Leistungen der anderen Genres anging, egal ob es sich um Klassik, Jazz, Rock, Pop oder Chanson drehte. Kulturpolitisch eine

Weitere Kostenlose Bücher