Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
herumstehen, mit dem Hörer gegen die Halterung. Irgendwas funktioniert wohl nicht. Das findet sie wieder komisch. An vielem hier gibt es Überfluss, aber Geduld ist Mangelware. Sie muss lachen. Benjamin lacht auch, ihm gefällt das wütende Männchen.
Zeit ist Mangelware, Zeit ist Geld. Und während die junge Frau jetzt den Rückweg einschlägt, ihr Kind zufrieden die Augen schließt im Rhythmus der vier Räder auf dem Huckelpflaster, fängt die Erinnerung an zu wandern, landet im Probenkeller der Band in der Anfangszeit, Ostberlin 1974.
Ein Klavier ersäuft im Probenraum oder Sänger sollten einen Schal tragen
Franky kommt mal wieder zu spät. Wir warten jetzt schon eine halbe Stunde, Klatsch und Tratsch sind längst ausgetauscht, wir wollen loslegen. Aber ohne Franky und sein Schlagzeug ist das schwer möglich. Türenknarren. Franky kommt. »Es regnet draußen«, sagt er, als ob das etwas erklären würde. »Neblig ist es auch«, schiebt er hinterher. Franz gähnt, ich grinse vor mich hin. Natürlich sind wir gespannt, was er sich diesmal einfallen lassen wird – denn Franky kommt eigentlich immer zu spät. »Es war neblig …«, sagt er und lässt eine unverschämt lange Pause folgen, bis er den Satz ganz ernst zu Ende bringt: »… sooo neblig, dass ich den Eingang zur U-Bahn nicht gefunden hab. Ehrlich.«
Keiner von uns konnte ihm lange böse sein. Wir, das waren damals, im Frühjahr 1974, Franz Bartzsch, der Gitarrist Örbse (Peter Schlesinger), der Bassist Ecke (Eckard Kremer), Franky (Frank Hille) und ich. Franky war wie ich kurz zuvor bei Panta Rhei ausgestiegen, Franz bei Lift. Dort bedauerte man seinen Abgang, denn Franz war einer der Besten, nicht nur am Keyboard. Wir hatten eine eigene Band gegründet und trafen uns nun regelmäßig in der Schliemannstraße in Berlin-Prenzlauer Berg, um zu proben. In einer feuchten Einraumwohnung, der Fußboden ein Trümmerfeld, aber wenigstens stand ein Klavier drin, das gab dem Ganzen den Anschein eines richtigen Probenraums. Die Kosten waren niedrig, man konnte damals im Ostteil der Stadt mit sehr wenig Geld über die Runden kommen. Trotzdem hatte Franz sein Keyboard verkaufen müssen, um die täglichen Kosten abzusichern. Wir waren arm – aber beseelt von unserem Vorhaben und stürzten uns voller Elan in die Arbeit. Zum Glück wohnte Ecke mit seiner Frau und dem gerade geborenen Kind schräg gegenüber, auch in einer Einraumwohnung; Franz lief zwischendurch immer mal wieder rüber, um etwas zu kochen, damit wir nicht völlig vom Fleisch fielen.
Wir hatten jede Menge Ideen, die Einfälle kamen schnell und leicht, wir experimentierten herum, komponierten und probten. Auch ich schrieb kleine Stücke, »Als ich noch ein Kind war« zum Beispiel, ganz hübsche Sachen, bei denen Franz mich sehr unterstützte. Er sprühte damals nur so vor Ideen. Zu manchen Songs inspirierte uns sogar unser unfreundlicher Probenraum. »Klavier im Fluss« entstand, weil unser Klimperkasten wegen der ständigen Feuchtigkeit so bescheiden klang. Inge Branoner schrieb den Text dazu:
Ein Klavier ersäuft,
das find’ ich einfach teuflisch.
Oder war das gute Stück
wirklich nicht mehr verkäuflich?
Ach, welch harter Schluss,
schwimmt da ein Klavier im Fluss,
und es schien mir
sehr verstimmt . 2
Örbse hatte das Intro dazu entwickelt, in dem ein Beatles-Song rückwärtsläuft. Jeder hatte seinen Teil zu unserem Repertoire beigetragen, aber der Hauptideengeber war Franz. Ich war seine Muse – und natürlich die Stimme. Anfangs hatten wir uns Vronis Zunft nennen wollen. Zum Glück haben wir das gelassen…
Ein halbes Jahr nach unseren ersten Sessions in der Schliemannstraße hatten wir genügend Lieder beisammen, um mit unserem eigenen Repertoire die Bühne zu erobern. Veronika Fischer & Band konnten loslegen!
Heute erscheint mir diese Zeit Anfang 1974 mit ihrer intensiven Konzentration auf das eigene Repertoire und den endlosen Proben als eigentlicher Beginn meines Berufslebens. Was so natürlich nicht stimmt. Tatsächlich hatte ich bis dahin schon jede Menge Erfahrungen mit anderen Musikern und verschiedenen Bands gesammelt. Eine wichtige Zeit, denn ich brauchte ein paar Jahre, um ein Gefühl für meinen eigenen Stil zu entwickeln.
Dass ich etwas mit Musik machen wollte, war mir allerdings schon früh klar gewesen. Bei uns zu Hause wurde viel gesungen und musiziert. Jede von uns Töchtern lernte ein Instrument, wir hatten sogar gemeinsam kleinere Auftritte in Thüringen, aber
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