Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
war erfrischend. Weitläufige, helle Birkenwälder, licht und Frieden ausstrahlend. Die Natur kann das. Die Menschen können es ihr nur abschauen. Die schiere Größe des Kaukasus überwältigte uns.
Das Leben war herrlich in diesem Moment.
Weiter ging es zum Elbrus, dem höchsten Berg im Kaukasus, er hat zwei Gipfel. Die Bewohner nennen ihn »Heiliger Berg« und »Ort der Glücklichen«. Wir waren die Glücklichen, die hinauf durften.
Hier sollte die Werbung für unser hochgepriesenes Kleidungsstück gedreht werden!
Also hinein in die Polyesteranzüge und los. Für mich war ein karierter Anzug für junge Frauen vorgesehen, in den ich mich hin einzwängen musste. Er war mir eine Nummer zu klein. Mein Backfischspeck war noch nicht abgestreift, ich fühlte mich wie eine Wurst darin. Die Oberschenkel spannten, auch sonst war es nicht mein Geschmack.
Aber wenn ich sonst nichts für diese Reise tun musste…
Am Elbrus gab es eine sehr einfache »Sesselbahn«, die uns in die Nähe des Gipfels bringen sollte. Holzbretter dienten als Sitze, an einem Strick konnte man sich festhalten. Alles recht abenteuerlich. Die Bahn hielt auch nicht etwa an, man musste aufspringen, um nach oben befördert zu werden; oben dann das gleiche Spielchen. Solange man jung und sportlich war und ohne Kameras oder schweres Gepäck unterwegs, ging es einigermaßen. Einer unserer Musiker stürzte, als er mit seinem Instrument aufspringen wollte. Zum Glück ist ihm nichts weiter passiert. Warum die Musiker auch auf den Berg mussten, ist mir bis heute ein Rätsel, spielen konnten sie nicht in der Kälte. Sie sollten wohl als Statisten fungieren.
Stern-Combo Meißen, 1970
Ich nahm also Anlauf, schwang mich auf, »Präsent 20« hielt, was es versprach, reißfest war es.
Eine spannende, gefährliche Auffahrt. Wir waren glücklich, oben angekommen zu sein.
Eisige Kälte und Schnee. Der Elbrus ist ein stark vergletscherter Vulkan. Dort oben braucht man eigentlich warme Sportkleidung.
Aber wir waren ja eine junge, abenteuerlustige Truppe und widerstandsfähig.
Frierend und brav lachten wir bei den Aufnahmen zum Werbefilm in die Kamera, gaben Jugendliche auf schneebedecktem Gipfel, zu Gast bei sowjetischen Freunden. Die Aussicht war gewaltig – aber hätten wir nicht auch irgendwo im Warmen »Gäste« spielen können? Mein Anzug wärmte überhaupt nicht, trotzdem transpirierte ich, und er roch unangenehm, als ich ihn endlich ausziehen durfte. Eine Erfahrung, die nach mir noch so mancher DDR-Bürger machen sollte. Denn das »Präsent 20« erfüllte selbst bei bescheidenen Ansprüchen nicht die Erwartungen an so etwas wie Tragekomfort. Der Stoff klebte am Körper, man roch, nur knitterfrei war die Faser tatsächlich. Später, mit einiger Erfahrung im Gebrauch, wurde das Erzeugnis »der Stoff, aus dem die Albträume sind«, genannt.
Nach dem Abenteuer auf dem Elbrus durften wir uns in einem Hotel ausruhen. Manchmal übernachteten wir auch in Zelten. Streng getrennt nach Frauen und Männern, Ordnung musste sein. Aber, wie wir wissen, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg …
Weiter ging es in Richtung Orient, nach Jerewan, der Hauptstadt von Armenien. Wir fuhren durch Steppe zusehends der Wüste entgegen. Eine völlig andere Vegetation als eben noch im Kaukasus. In Jerewan merkten zumindest wir Frauen schnell, dass wir auch in einem anderen Kulturkreis angekommen waren. Hier liefen Frauen nicht ohne Kopfbedeckung herum, und Fremde wurden natürlich besonders beäugt.
Es gab einen russischen Dolmetscher, der ein Auge auf mich geworfen hatte. Ich aber nicht auf ihn. Er war wirklich nicht meine Adresse, ich stand auf Hippies und nicht auf »Spießbürger« mit Hütchen wie ihn. Mittlerweile sind solche Hütchen wieder modern, und ganz junge Männer tragen sie vorzugsweise. Wie sich der Geschmack ändert! Hat man das eine Weile selbst mitgemacht, kann man nur darüber lachen.
Nach ein paar Tagen traten wir die Heimreise an. Es gab keine größeren Aufenthalte mehr außer den Übernachtungen und kurzen Stopps für Spots, die nachgedreht werden mussten. Die langen Autofahrten waren ermüdend, ich versuchte, mir die Zeit so gut es ging mit Singen zu verkürzen.
Diese Reise weckte in mir die Lust auf mehr.
Auf zu den Sternen
Fürs Erste blieb es für mich bei einer Reise innerhalb des eigenen Landes. Manfred Nytsch, Posaunist bei Herfter, wollte im wahrsten Sinne des Wortes nach den »Sternen« greifen und fragte mich eines Abends, ob ich mitkäme. Die
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