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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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Farbigkeit. Und die burschikose, routinierte Art der Betreuer mit dem Schuss Großspurigkeit darin hat sie alle ein bisschen verlegen werden lassen, was wie Schüchternheit wirkte. Die dann bei einigen im Bus schnell umschlug in Ausgelassenheit: Endlich drüben. Na – bleiben wir?
    Irgendwann war der große Übergang dann fast normal.
    Die Einfahrt ins bandagierte Gebiet.
    Irgendwann wussten die Grenzer, dass sie ab und zu jetzt hier durchfahren würde.
    Steht eigentlich das schwarze Auto noch unten? Sie macht die Lichter im Zimmer aus und lehnt sich vorsichtig aus dem Fenster.
    Nichts zu sehen im Moment.
    Werden die irgendwann loslassen, denkt sie.
    Eine alte Freundin hat ihr neulich einen bösen Artikel von Reinhard Lakomy zukommen lassen, der ihr, als endgültig klar war, sie würde im Westen bleiben, nachgezankt hat, sie wäre nur wegen des Geldes gegangen und ihre »Flucht« ein abgekartetes Spiel. In dem Artikel standen Summen, die sie erhalten haben soll, viermal so hoch wie in Wirklichkeit.
    Sie räumt jetzt die Steinchen und Klötzchen auf, fegt den Teppich frei. Es tut gut, die Nachtlichter so an der Zimmerdecke entlangwandern zu sehen. Es tut gut, ihr Kind im Nebenzimmer zu haben, es lachen, weinen, spielen und aufwachsen zu sehen. Wäre sie noch die paar Kilometer weit drüben im Osten, käme sie garantiert gerade erst zurück von irgendeinem Auftritt oder würde sich noch ausführen lassen, mit Freunden auf den Abend anstoßen, weil man nicht immer Nein sagen kann, wenn man Mittelpunkt der Gesellschaft ist…
    Ihr Kind wäre unentwegt in fremder Obhut. Was es erlebt, entdeckt und mitmacht – sie wäre nicht viel dabei. Leichter als hier wäre es möglich gewesen, das Kind in eine der vielen Krippen zu geben. Aber sie wollte das gar nicht – und möchte jetzt nicht entscheiden, was besser wäre, und wenn ja: Besser für sie oder das Kind?
    Sie ist glücklich, dabei zu sein.
    Die Frauen hier, die sie Freundinnen noch nicht nennen will, haben so was gar nicht. Gar keine Kinder. In ihrer Branche ist sie eine der wenigen mit Nachwuchs, sie wird deshalb in die Kategorie »heile Familie« eingeordnet.
    Die Frauen hier haben gerade erst ihre Freiheit, die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung entdeckt – wer Kinder hat, macht sich verdächtig. Ist rückständig. Hängt in alten Rollenbildern fest. Wird gesellschaftlich nicht unterstützt.
    Das alles wirkt auf sie unverständlich, die Atmosphäre kinderfeindlich.
    Manche der Frauen und Männer hier in der neuen Umgebung sind so selbstbezogen, dass sie Kinder nur als Störgeräusche wahrnehmen.
    So viel Macht hast du, denkt sie manchmal, wenn sie Benjamin beobachtet, wie er Späße treibt und sie ablenkt, während gestandene Selbstdarsteller unruhig ein Gespräch fortzusetzen versuchen.
    Hätten die Kritiker aus dem Osten ihr wirklich wehtun wollen, hätten sie behauptet, dass die berühmte Sängerin ihren Nachwuchs unbedingt in einem kinderfeindlichen Land hat aufziehen wollen.
    So empfindet sie die Gegend.
    Das bandagierte Gelände.
    Für heute Nacht hat sie ihren Frieden gemacht, jetzt plötzlich.
    Sogar unter ihr ist es angenehm ruhig geworden. Süße Träume.
    Heute Nacht wohn ich gerne hier, denkt sie.
    Und als das Telefon kurz klingelt, stellt sie es leise und geht nicht ran.
    Meine dunkelste musikalische Reise (Fahrt in die SU)
    Das größte Reiseabenteuer meines Berufslebens erlebte ich 1977.
    Inzwischen wurde meine zweite Band gut vom Publikum angenommen, und ich hatte mich als Solistin immer mehr emanzipiert. Ich erlebte, dass auch andere Musiker ihr Handwerk verstanden, obwohl meine »Lieblinge« nicht so ohne Weiteres zu ersetzen waren.
    In jener Zeit war ich gesanglich in Höchstform, stimmlich voll präsent.
    Was übrigens wiederum mit dem Immunsystem zusammenhängt, das nach meiner Erfahrung in der Mitte des Lebens am stärksten ist.
    Und in jener Zeit kam ich dieser Mitte schon etwas näher.
    Ich ließ mich also auf eine Tournee durch die Sowjetunion ein, ab Oktober 1977 sollte die Reise sechs Wochen von Moskau über Grosny, Kursk, Machatschkala nach Astrachan an der Wolga gehen. Es standen noch andere Orte auf dem Tourplan, deren Namen ich nicht mehr weiß.
    Geplant waren in jeder Woche mindestens fünf Konzerte mit zwei freien Tagen dazwischen, den Offdays. Während der Tour sollten noch mehrere Doppelkonzerte eingeschoben werden, weil die Nachfrage so groß war. Das lehnte ich aber ab, es wäre mir zu viel geworden. Ich bin keine

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