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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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aufgeschlossenen und kritikfähigen Publikum, das seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Konstantin Lück schrieb mir dazu unlängst auf Facebook Folgendes: »Lang, lang ist’s her, ein wunderschönes, überwältigendes Konzert im Capitol Hannover. Wenn ich daran denke, spüre ich immer noch das Prickeln, die Gänsehaut, das unbeschreiblich schöne Feeling.« Solche positiven Resonanzen bekamen wir bei fast allen Auftritten.
    Für uns selbst war manches ungewohnt. Die Menschen waren anders, wirkten frecher und irgendwie freier. Aber Freiheit ist relativ. Die Spielstätten waren kleiner als die, in denen wir im Osten auftraten. In Hamburg spielten wir im Logo, einem traditionsreichen Musikschuppen, der schon mal als »lauteste Sauna« der Stadt bezeichnet wurde. Klein und sehr intim. Nach dem Auftritt kam Udo Lindenberg auf die Bühne, hockte sich ganz selbstverständlich an die Drums und erzählte uns, dass er unbedingt einmal in der DDR auftreten wolle. Aber bis sein »Sonderzug nach Pankow« losfahren konnte, sollte es noch bis 1988 dauern. Und ob ihm dieser Auftritt im Palast der Republik wirklich Spaß gemacht hat, wage ich zu bezweifeln, denn das Publikum bestand aus bestellten und ideologisch entsprechend geimpften Claqueuren.
    Nach unserem Konzert in Hamburg wollten wir so viel wie möglich von der Stadt entdecken. Wofür war Hamburg eigentlich bekannt? Wir trugen unser Wissen zusammen: reiche Handelsstadt, Seefahrt, Reeperbahn, Fischmarkt. Wir wussten außerdem, dass Musik eine große Rolle spielte, schließlich hatten die Beatles hier ihre Laufbahn begonnen. Peter Schimmelpfennig gab den Stadtführer und zeigte uns als Erstes das Salambo – ein Pornotheater…
    Diese Art der Freiheit brauchte ich wirklich nicht. Während meine Bandkollegen weiter zur Herbertstraße zogen, um die Subkultur kennenzulernen, die es in der DDR nur im Geheimen gab, setzte ich mich mit László ab, um in einer Kneipe am Hafen etwas zu essen. Kein schlechter Schachzug, denn unsere »Aufpasser«, die wir natürlich im Schlepptau hatten, begleiteten lieber mit ihren prall gefüllten Einkaufstüten in der Hand die anderen in die Herbertstraße. Die Stasibeamten gingen also auch gern mal »einkaufen« beim Feind.
    Gegen sechs Uhr morgens schlenderten wir zum Fischmarkt. »Den müsst ihr euch unbedingt ansehen«, hatte man uns gesagt, die Verkäufer mit ihrem Dialekt und ihren Sprüchen seien einmalig in ihrer Art. Wir kauften sogar etwas Fisch vom schmalen Budget. Unsere Gagen gingen ja wieder aufs Genex-Konto.
    Danach ins Hotel, um die neue Freiheit auszuschlafen.
    Wir kehrten zurück nach Hause, nach Berlin, Hauptstadt der DDR. Ich hatte zu dieser Zeit nicht das Bedürfnis, die Staaten zu wechseln. Ich machte mir viele Gedanken über die Unterschiedlichkeit der Systeme und war nicht davon überzeugt, dass der Westen besser war. Aber es kamen immer mehr Zweifel auf. Wie wurde der Einzelne entmündigt und das ganze Volk unter Verdacht gestellt! Es war ein einziges Misstrauen, das herangezüchtet wurde – das musste unweigerlich zur Veränderung führen.
    Sie erinnert sich, wie verbaut ihr die Städte vorkamen. Jeden Zentimeter hat die Menschheit hier zugebaut, dachte sie, als sie zum ersten Mal durch Westdeutschland fuhr. Auch zwischen den Orten draußen im Land: betonierte Parkplätze, höher gelegene Tankstellen, mit Gräben abgesicherte Nutzflächen, geschwungenes Auf und Ab an den Schnellstraßen, all der versiegelte Boden. Jede Baumaßnahme ließ sich mit Sicherheitserwägungen und Umweltschutzanforderungen erklären, aber ihr kam es unnatürlich vor – wie geschient wirkte dieser Westen.
    Als wäre das Echte verborgen unter Bandagen.
    Versteckt, weil es peinlich war.
    Jetzt fällt ihr das nicht mehr so auf. Hier im Wedding ist zwar auch alles vollgebaut, aber schmutzig und buntfleckig trotzdem und so voller Risse, dass man es atmen spürt.
    In der Wohnung unten rumort es wieder. Irgendein Streit bahnt sich an, leise noch, sie hört Wechselreden in dem vokalreichen Türkisch, lauter, wieder leiser, sie möchte das nicht weiterverfolgen. Kurz überlegt sie, welche Musik ihr jetzt guttun könnte, aber Benjamin würde wohl aufwachen davon. Und mit Kopfhörern würde das Telefon nicht bis zu ihr vordringen.
    Auf dessen Klingeln sie wartet, ohne zu wissen, warum.
    Damals sind sie alle erst einmal wortlos gewesen bei der Einfahrt nach Westberlin, auf den Alleen mit helleren Lichtern, stärkeren Leitplanken und angesichts der ungewohnten

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