Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Chor. Einmal im Jahr wird die Sehnsucht so groß, nach jener winzigen Stadt. Einmal im Jahr packt man ein und fährt los, wenn man die Eltern noch hat. (Kurt Demmler) Ich sang mit viel Gefühl und bemühte mich, den Inhalt der Geschichte echt, ohne falschen Kitsch rüberzubringen.
Da löste sich die Cutterin vor meinen Augen in Tränen auf und konnte sich kaum wieder fangen. Ihr Vater war kurz zuvor gestorben. Der traurige Anblick verwirrte mich und machte es mir schwer, das Lied souverän zu singen. Man braucht dringend innere Ausgeglichenheit, das ist für die Stimmführung wichtig bei größeren Bögen, sonst flattert das Zwerchfell, das den Halt für die Stimme bietet. Ich setzte immer wieder an und schaffte es schließlich auch, mich zusammenzureißen. Die Zeit in einem Studio ist bemessen.
Am liebsten hätte ich mitgeweint.
Ich war froh, als das Lied auf dem Band war. Die Menschen liebten es von Anfang an.
Völlig zufrieden war ich mit dieser Aufnahme aber nicht, und deshalb sang ich das Stück noch einmal bei der Produktion 2007. Die CD heißt wie das Lied.
Manchmal dauert es etwas länger, ein Ziel zu erreichen…
Das Album Aufstehn war dank der Zuarbeit von Thomas bald fertig, und wir konnten starten. Micha Behm löste als Schlagzeuger Peter Gröning ab, er fügte sich gut in die Band ein, die Zusammenarbeit machte Spaß. Thomas, der uns zunächst nur als Komponist hatte unterstützen sollen, übernahm die Funktion des Bandleaders. Der Westen konnte kommen!
Natürlich war es uns nur möglich, im Westen auf Tour zu gehen, wenn wir bestimmte Bedingungen erfüllten. Jedes Bandmitglied (und die dazugehörenden Familienangehörigen) musste »westtauglich« sein – sauber, keine politischen Auffälligkeiten –, sonst gab es keinen Pass. Alles wurde durchleuchtet und geprüft. Nur wenn nichts gefunden wurde, war man ein »Westkader«. Wir bestanden in jener Zeit die strenge Prüfung, wir waren noch nicht verdächtig.
Peter Schimmelpfennig war damals einer der Agenten, der Ostmusiker in den Westen holte. Ich weiß nicht, wie der Kontakt zustande gekommen war, jedenfalls präsentierte uns László eines Tages das Angebot, eine Tour durch die Bundesrepublik zu machen. Sechs Konzerte, unter anderem in Hamburg, Kiel und Hannover. Peter Schimmelpfennig war der Tourleiter, nicht nur für uns, sondern auch für viele andere Künstler der DDR, die auf Westreise gehen durften. Er hatte offenbar besondere Kontakte und schien sich gut mit den einschlägigen Behörden zu verstehen. Das gelang nur wenigen, aber offenbar hatten die Oberen ihn lieb.
Wir durften zum Kapitalisten, zum Feind. Und erstaunlicherweise sogar mit László. Das war zuvor schon einmal verhindert worden, als wir einen Auftritt bei der kommunistischen Partei Westberlins hatten, obwohl László zur Ausführung des Auftritts wichtig gewesen wäre. Den DDR-Oberen war es wichtiger, dass ein geliebtes Pfand zurückbehalten wurde, damit die Sängerin auch ja aus dem feindlichen Ausland zurückkehrte. Damals zog die ungarische Botschaft Lászlós Pass ein. Später war Benjamin, unser gemeinsamer Sohn, das Pfand.
Es wurde uns viel abverlangt.
Die Vorbereitungen für unsere erste Tournee im Westen liefen auf Hochtouren, in jeder Hinsicht. Wir durften ja offiziell keine Westmark haben, wollten aber doch ein paar Dinge einkaufen können, vielleicht eine Jeans oder sonst etwas, das man in der DDR nicht bekam. László schaffte es irgendwie, insgesamt 15.000 Ostmark, ein kleines Vermögen, zum Kurs von eins zu fünf schwarz einzutauschen. Die 3000 DM, die er dafür bekam, versteckte er mithilfe unseres Technikers in den Geräten, die wir für den Auftritt brauchten. Wir zitterten etwas, aber an der Grenze ging alles glatt.
Kurz vor unserem ersten Konzert in Kiel gab es allerdings ein böses Erwachen. Der Techniker war weg – und mit ihm das ganze Geld. Ein Schock! Wir hatten alle zusammengelegt, nun war alles futsch. Mit dieser Überraschung begann unsere erste Westtournee.
Niemandsland im wahrsten Sinne des Wortes, an wen hätten wir uns auch wenden sollen in dieser delikaten Angelegenheit.
Als wir Ende 1979 erneut im Westen auftraten, hatte László den neuen Wohnort des »Republikflüchtlings« herausbekommen. Gemeinsam mit Franz stattete er unserem ehemaligen Techniker einen unangekündigten Besuch ab. Der fühlte sich »genötigt« und dachte gar nicht daran, die unterschlagene Summe zurückzugeben. Er wusste, dass wir Niemandslandkinder nicht viel
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