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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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später mühsam wiederaufgebaut. In diesem Spannungsgebiet gastierten wir 1977. Unsere Konzerte wurden auch dort freudig aufgenommen.
    Dann weiter nach Kursk, der Stadt, die während des Zweiten Weltkriegs hart umkämpft war und aus der eine entscheidende Panzerschlacht die Deutschen vertrieb. Ein brisanter Ort – wieder war die Aufnahme überaus herzlich. Die Menschen brachten uns Blumen auf die Bühne, worüber wir uns angesichts dessen, was fünfunddreißig Jahre vorher passiert war, besonders freuten. Nach dem Konzert wollte ich zu Fuß ins Hotel gehen, da stellte sich mir ein kleines altes Mütterchen in den Weg, sah mir tief in die Augen, sagte »… ich verzeihe dir, du bist nur das Kind« und humpelte langsam davon. Mich berührte das sehr, ich bekam Gänsehaut. Ich dachte sofort an meinen Vater, er war ja drei Jahre in Russland Soldat gewesen. Dieses Mütterchen hatte die Mühe auf sich genommen, nach dem Auftritt auf mich zu warten, um mir das sagen zu können. Wahrscheinlich waren Angehörige von ihr ums Leben gekommen, vielleicht ihr Mann oder ein Sohn.
    In solchen Momenten spürte ich die Last des Krieges, die als »Kind« auch auf mir lag.
    Ich lief ins Hotel, Schatten von Männern verschwanden leise in der Nacht, unheimlich. Ich war froh, als ich die Zimmertür schloss.
    Mit der Reise kam der Winter. In Moskau hatten wir bei warmem Herbstwetter begonnen, im Laufe der Wochen wurde es kälter und fing zu schneien an. Aber da in der Sowjetunion erst ab dem 1. November geheizt werden durfte, war es in den Hotels eiskalt.
    Die Bürokratie übertraf sogar die der DDR.
    Man konnte übrigens auch nicht einfach fahren, wohin man wollte, sondern musste an jedem Ort, in jeder Stadt eine Passkontrolle über sich ergehen lassen.
    Um die Kälte in den Räumen zu überbrücken – schließlich wollte ich mir keinen Schnupfen holen und damit die Tour gefährden –, wurden in meinem Hotelzimmer Spots und Lampen angebracht. Dadurch wurde es angenehmer, und ich musste mich an den langen Vormittagen nicht dauernd in der Badewanne aufhalten. Zwar saß ich jetzt auch im Hotelzimmer schon im Rampenlicht, aber das nahm ich in Kauf.
    Die Ernährung war weder wohlschmeckend noch bekömmlich, und man konnte auch nicht ohne Weiteres ins Restaurant essen gehen. Wir mussten uns selbst versorgen. Meine Kollegen hatten sich wie in Rumänien ihre Tütensuppen mitgebracht und köchelten auf den Hotelzimmern. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie mich nie dazu einluden, vielleicht war es besser so. László und ich zogen tagsüber los, um etwas Essbares aufzutreiben. Wir kauften, was wir bekamen, meist eine Art sehr fette »Jagdwurst« und dazu Brot. Es wurde nicht allzu viel angeboten. Früh gab es oft ein »Büfett«, da lagen übereinandergestapelt gekochte breit gedrückte Hühner, daneben hart gekochte Eier und »Smetana«, ein fetter Jogurt. Irgendwas mussten wir essen, besonders war es nicht und schmecken tat es auch nicht. Manchmal konnten wir auf den Märkten etwas Obst und Gemüse einkaufen, aber dort war das Angebot ebenfalls bescheiden. Je südlicher wir kamen, desto öfter brachte László Krebse und Kaviar an. Preiswert gab es »Schampanskoje«, Sekt.
    So saßen wir manchmal im Hotel, knackten Berge von Krebsen und tranken dazu Sekt. Es war mühselig, satt zu werden und eigentlich Luxus. Wir hätten lieber normal gegessen, aber die merkwürdigen »Platthühner« schmeckten so fade.
    Meiner Gesundheit und der Kraft, die ich zum Singen brauche, schadete diese Ernährung. Später bekam ich die Rechnung dafür.
    Von Grosny ging es mit dem Flieger nach Machatschkala, das liegt an der Westküste des Kaspischen Meeres im Kaukasusvorland, 1600 Kilometer südöstlich von Moskau und 200 Kilometer nördlich der Grenze Russlands zu Aserbaidschan. Machatschkala gehört zur Teilrepublik Dagestan, wo der sunnitische Islam vorherrschende Religion ist. Ein absolut anderer Kulturkreis.
    Da wir meistens zwei Konzerte an einem Ort machten, konnten wir manchmal tagsüber spazieren gehen und uns umschauen. Wir besuchten den Markt von Machatschkala, nicht vergleichbar mit anderen uns bisher bekannten Märkten. Fleisch hing einfach so herum, egal ob warm oder kalt, die Luft war ein Gemisch von Ziegen- und Schafduft, Fliegenschwärme überall. Wir deckten uns mit Schaffellen ein, als Bettvorleger, auch vor einem Kamin sehr passend, aber den hatte niemand von uns. Ich wollte mir eine Fuchsmütze machen lassen und fand dafür sogar ein Fell. Eine

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