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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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Das sah nach einem neuen deutsch-deutschen Sträßlein im Kulturgelände aus.
    Gespannt nahmen wir eine Ahnung von Aufbruch wahr. Das Angebot wurde gerade geprüft.
    Ich war eher skeptisch.
    Am Abend vor dem Auftritt waren wir in einer Talksendung mit Kathrin Brigl aufgetreten, hatten live unterm Funkturm musiziert, um Werbung für den Abend im Jazzkeller zu machen. Kathrin hatte mich mit dem provokanten Zitat begrüßt: »Es waren zwei Königskinder …, das Wasser war viel zu tief«.
    Inzwischen kenne ich Kathrin gut als Autorin und Gesprächspartnerin. Nach ihrer schönen Idee entstand später »Das Kind & der Kater«, ein Musical für Groß und Klein, komponiert von Andreas Bicking. 1997 produzierten wir es.
    Damals aber konnte ich im Unterschied zu ihr nicht so reden, wie ich wollte. Ich stand unter Beobachtung. Ich stolperte mich durch die Talkshow.
    Was wäre gewesen, wenn ich gesagt hätte: »Du hast ja recht, wieso wird es uns beiden so schwergemacht, wieso können wir uns hier nicht ganz normal begegnen?«
    Würden dann nicht alle glauben, ich hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank?
    Wir waren im Kalten Krieg. Es gehörte sich nicht für einen Bürger der DDR, in Westberlin solch ein Interview zu geben.
    Oder auch nur frei auf eine Frage zu antworten.
    Man war sich gegenseitig verdächtig. Im Osten: sich dem Kapitalismus anzubiedern und so Verrat am Sozialismus zu begehen – im Westen: ein Staatskünstler und nur deshalb privilegiert zu sein.
    Wer ich selber war, durfte ich nicht zeigen. Vielleicht hätte es auch niemanden interessiert.
    Ich trug einen unsichtbaren Maulkorb.
    Auf alle Fälle brachte uns die Talkshow eine »volle Hütte« im Jazzkeller. Die Westberliner kannten uns Künstler des Ostens einigermaßen gut. Der Rest der Altbundesrepublik aber hat dieses Wissen bis heute nicht aufgeholt. Man ist eher mit den Entertainern des angloamerikanischen Raums vertraut als mit denen der versunkenen DDR gleich nebenan.
    Diese Geschichtsvergessenheit auch der Westmedien betrifft umso mehr alte Ostpolitiker, denen man trotz dunkler Vergangenheit eine Bühne bietet, wenn sie nur redegewandt genug sind und deshalb Quoten bringen. Aber das nur nebenbei.
    Kurz vor diesem Konzert hatte Franz gemeinsam mit Reinhard Lakomy eine Westreise unternehmen dürfen, getarnt als Arbeitsprojekt. Man bot »wichtigen« Künstlern solche Entspannungsurlaube und hoffte, sie derart mehr an den heimischen Staat zu binden.
    In Lakomys Fall ist das wohl auch gelungen.
    Wo die beiden unterwegs waren, haben sie mir nicht erzählt, aber als sie zurückkamen, lief sofort als stille Post von Ohr zu Ohr, Franz und Lakomy seien auf dieselbe Französin geflogen. Franz hatte sich verliebt. Später hat Lakomy in dem Junge-Welt–Artikel, den er mir aus Ostberlin hinterherschrieb, verärgert notiert: »Auf dieser Reise fühlte ich mich immer mehr wie ein Störfaktor auf einer Hochzeitsreise.«
    Die Stasi wusste von alldem noch nichts, sonst hätte sie uns dieses Konzert bestimmt gar nicht antreten lassen.
    Kerstin hatte Benjamin an dem Abend zu sich geholt, er war inzwischen ein Dreivierteljahr alt. Gern ließ ich ihn nie zurück, aber wir hatten keine falsche Absicht, natürlich wollte ich wieder zu ihm.
    Dass er für die Mächte, die unser Leben regelten, ein »Pfand« war – das funktionierte in meinem Fall.
    Die Gedanken flogen in verschiedenste Richtungen. Etwas lag in der Luft.
    Die Bude war voll, ein toller Auftritt. Danach zog ich mich um, gab ein paar Autogramme, Schwätzchen hier, Schwätzchen da, ich packte meinen Kram und wollte los. Die Sommerluft herrlich warm, ich wartete draußen auf László.
    Auf der Treppe zum Klub saß Franz mit dem Techniker Thomas Stiehler und mit Jaqueline, der Französin. László kam.
    Franz umarmte mich so lange wie sonst nie. Eine herzliche Verabschiedung.
    Das war merkwürdig.
    Wir fuhren zur Grenze. Wir hatten ja die Übergangszeiten einzuhalten, möglichst bis null Uhr. Meistens, wie heute Nacht auch, mussten wir uns sputen.
    Am nächsten Tag bekam ich unerwartet Besuch von Marianne Oppel in männlicher Begleitung, es könnte jemand von der Generaldirektion gewesen sein. Sie überbrachten mir die Nachricht, dass Franz Bartzsch nicht wieder in die DDR einreisen würde.
    Es brach eine Welt zusammen in mir. Ich schrie auf. Ich war so entsetzt, enttäuscht, verletzt von Franz’ Vertrauensbruch – schlagartig ging etwas kaputt. Ich verlor meinen Glauben an die Einzigartigkeit unserer Musik, mir

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