Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
hatte ich fürs Erste meinen letzten Auftritt. In der Philharmonie in Westberlin sollten wir im Rahmen eines »Kurzkonzerts« mit der Band spielen; ich war bereits im achten Monat. Vor uns traten Barbara Thalheim und Holger Biege auf. Barbara wurde und wurde nicht fertig, sie gab eine Zugabe nach der anderen, weshalb sich die Auftritte der nachfolgenden Künstler nach hinten verschoben. Wir fanden das etwas unkollegial, sie wusste schließlich, dass wir warteten. Als dann auch noch Holger länger brauchte als gedacht, gab es die nächste Verzögerung. Bis ich auf die Bühne kam, fühlte ich mich völlig erschlagen. Ich war müde, kämpfte mit Schwäche und Kurzatmigkeit. Das Baby bewegte sich und strampelte gegen meinen Gesangsrhythmus an. Vielleicht waren ihm meine Aktivitäten nicht angenehm. Vielleicht ahnte es auch den Ort voraus, an dem es aufwachsen würde. Ich mühte mich ab und war froh, als alles überstanden war. Diesen Auftritt noch anzunehmen war eine Fehlentscheidung gewesen – höchste Zeit, sich von der Bühne zu verabschieden.
Nun saß ich also zu Hause und wartete. Die Jungs gingen abends auf die Piste; manchmal kam Marianne vorbei und leistete mir Gesellschaft. Mein Gynäkologe in der Charité riet mir, die Geburt zwei Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin einleiten zu lassen; das würde sowohl für mich als auch das Kind eine Erleichterung sein. Die Charité war immer für neueste Erkenntnisse gut und mein Ratgeber kein Geringerer als der Professor der Abteilung. Ich vertraute seinem Rat.
Der 18. September 1979 wurde als Termin für die Einleitung festgesetzt. László fuhr mich in die Klinik. Damals war es nicht üblich, dass die Männer bei einer Entbindung dabei waren. Mir war das recht, ich wollte lieber allein sein. Nach acht Stunden Wehentortur ging es endlich vorwärts. Aber mein Baby war noch nicht bereit gewesen, zur Welt zu kommen, es war gezwungen worden. Der Arzt bemerkte das gar nicht und legte mir Benjamin in den Arm. Er war noch zu klein und wollte nicht richtig atmen. Ich erschrak: Da stimmte etwas nicht, ich bemerkte die Kurzatmigkeit! Ich alarmierte eine Schwester. Sie erkannte den ernsten Zustand des Kindes und rannte mit ihm weg, während ich entsetzt auf der Liege zurückblieb.
Ich wurde dann unterrichtet, dass Benjamins Lunge nur zu 60 Prozent arbeitete, er deshalb unterkühlt war und wie ein Frühchen behandelt werden müsse. Das traf mich wie ein Schock. Die Fehlentscheidung des Arztes mussten wir jetzt ausbaden, mein Kind und ich. Wenn bei einer Schwangerschaft alles normal verläuft, dann belässt man es bei der natürlichen Geburt – diese Lektion lernte ich gründlich!
Für mich und Benjamin aber war es zu spät, drei Tage lag er im Brutkasten.
Wie traurig, dass er das durchmachen musste.
Man sollte sich immer einen zweiten Rat einholen.
Wir besuchten unseren Kleinen, und am vierten Tag nach der Geburt durfte ich ihn wieder in den Arm nehmen. Ich begann ihn zu stillen, aber da er kleiner war, als er hätte sein können, musste ich ihn ständig anlegen. Alles wurde viel anstrengender als gedacht, für ihn wie für mich.
Endlich kam ich mit dem Krankenwagen nach Hause – und was erwartete mich dort? Eine Wüste! László hatte die Geburt seines Sohnes offenbar ausgiebig verzecht, die Wohnung war verdreckt und voller Bierflaschen, mein Mann selbst außer Haus. Natürlich hatte ihn niemand über unser Kommen benachrichtigt, es gab ja noch keine Handys…
Jetzt konnte ich nicht mehr, war völlig überfordert. Mit dem Säugling im Arm setzte ich mich hin und begann hemmungslos zu weinen.
Das Leben ist nichts für »Weicheier« – würde mein Neffe sagen.
Die Wohnung in der Straßmannstraße – mit Außentoilette und ohne Bad – war für das Leben mit einem Säugling eine Zumutung. Aber es gab endlich Hoffnung, dass wir bald in eine Wohnung in einem gerade fertiggestellten Hochhaus in der Erich-Kurz-Straße am Tierpark ziehen konnten. Vier Zimmer, Küche, Bad, vierzehnter Stock. Der Beton war noch feucht, als wir einzogen. Mein Vater baute eine Regalwand für unsere ganzen Bücher und LPs, es sollte gemütlich werden. Ich gab mir alle Mühe. Meistens gelingt es mir, eine Wohnung schön herzurichten. Aber diesmal wollte es sich nicht recht entwickeln. Ich fühlte mich in der Wohnung unwohl. Es gefiel mir nicht, so nah am Himmel zu leben, die Bäume wuchsen so weit unten, ich sah sie kaum, auf dem Balkon bekam ich Schwindelanfälle. Die Wände der neuen
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