Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Notiz vom Juli 1980, Quelle IM »Pergamon« (es muss sich um einen Texter handeln, der zum Lektorat des Rundfunks der DDR gehörte. Leider konnte ich anderthalb Jahre lang nicht die richtigen Namen (Klarnamen) der IMs – der inoffiziellen Mitarbeiter – von der zuständigen Behörde bekommen. Wie bedauerlich.):
»Beim Rundfunk kursiert das Gerücht, dass sich V. Fischer nach Ungarn zurückziehen will. Sie hat Schwierigkeiten, eine neue Band aufzubauen. Th. Natschinski soll eine Zusammenarbeit mit ihr abgelehnt haben.«
Das nächste Gerücht kommt schon heftiger, datiert vom 10. September desselben Jahres: »Es wurde bekannt, dass Kleber (Ehemann der Fischer) die gesamte techn. Anlage verkauft und das Fahrzeug des Ensembles zum Verkauf anbietet. Der Kleber wandte sich im Sept. 80 an die Künstleragentur und informierte, dass Frau Fischer die Absicht habe, ab sofort nicht mehr mit der Künstleragentur zusammenzuarbeiten, sondern künftig nur noch mit der WB-Agentur Kämpfe.«
Zwei Tage später das gleiche Gerücht, durch einen »plaudernden Kollegen« noch ausgemalt:
»VPI Treptow, Komm.I, 12.9.80
Information. Es besteht der Verdacht, dass Mitglieder der ›Veronika-Fischer-Band‹ von einem Gastspiel im NSW [d.h. im nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebiet] nicht mehr in die DDR zurückkehren werden. Zum Sachverhalt: Vor mehreren Monaten kehrte der Musiker in der V.F.Band Bartzsch, Franz (weitere Personalien unbekannt) von einem Gastspiel in Westberlin nicht mehr in die DDR zurück. Den Äußerungen des ------ , -------- , ------ ------- ------- 5 nach, verkaufen die Fischer, Veronika, wft. Berlin Lichtenberg, Am Tierpark und ihr Lebensgefährte Kleber, wft. wie Fischer, ihren PKW ›Volvo‹ und andere persönliche Gegenstände. ------- * äußerte die Vermutung, dass die Fischer und der Kleber vom geplanten Gastspiel Mitte September 1980 nicht in die DDR zurückkehren werden. Er vermutet, dass die ›Verkäufe‹ dazu dienen, einen bestimmten Bargeldbetrag zu erlangen und diesen ins NSW zu schleusen. Es ist nur bekannt, dass das Gastspiel im NSW sein soll. Weitere Personalien und Fakten sind zur Zeit nicht bekannt. Quelle zuverlässig. Sachverhalt nicht überprüft. Ludwig, Oltn.d.R.«
Es handelt sich um einen Kollegen einer bekannten Band.
Wer konnte sich schon in einer Band zu einer gemeinsamen Flucht absprechen ?
Wo lebte Herr ------- * ? Jeder misstraute jedem.
Am gleichen Tag folgte die behördliche Konsequenz:
»Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin, Abteilung XX, Berlin 12.9.1980
Entsprechend der telefonischen Vorinformation an Genossin Weber Ihrer Diensteinheit vom 11.9.1980 wird die Dauerbestätigung für Veronika Fischer als Reisekader NSW unsererseits aus politisch-operativen Gründen zurückgezogen. Der Stadtrat für Kultur wird von uns in Kenntnis gesetzt, dass zur Zeit keinen Reisen von ihr ins NSW unsererseits zugestimmt werden kann. Stellverteter Operativ: Hähnel, Oberst. Leiter der Abteilung: Häbler, Oberstleutnant.«
Das bedeutete: keine Reisen mehr ins »nicht sozialistische Wirtschaftsgebiet« (NSW). Mich befielen Depressionen. Ich war dreißig und ermüdet. Irgendwann will man eine Basis, auf der man weiterarbeiten kann. Eine ideale künstlerische Partnerschaft findet man ohnehin kaum noch einmal wieder.
War es für mich nun auch notwendig, in den Westen zu gehen? Der wartete doch nicht auf mich…
Wir bekamen Trost von »Gottfried«, einem evangelischen Jugendpfarrer, der irgendwann nach einem Konzert ein nettes Gespräch mit Franz geführt hatte. Dadurch war eine engere Beziehung entstanden. Er war in der brisanten Zeit für uns da, kam oft zu Franz’ Frau und auch zu mir, um zu »helfen«.
Wir gaben wieder Konzerte, aber die Bezirke trauten sich immer weniger, Veronika Fischer & Band einzuladen, obwohl es keine Anweisung gab, wie sie sich verhalten sollten.
Während die Stasi und übrigens auch einige Kollegen von mir glaubten, Franz’ Weggang sei sowieso mit mir abgesprochen und er warte im Westteil nur auf mich, drängte Hans Woitek, Vertreter des Kulturministers, mit dem ich am 30. September 1980 ein Gespräch führte, ich solle mich in Demut wieder den kleinen Aufgaben meiner Anfangsjahre widmen:
»Ich riet Frau Fischer, sich ganz in ihrem Sinne voll auf das Gegenwärtige, die künstlerische Arbeitsfähigkeit ihrer Gruppe zu konzentrieren für Auftritte in der DDR und in sozialistischen Ländern« (Gesprächsprotokoll Woitek).
Meine Sorge war: Wann würde
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