Das Luxemburg-Komplott
nicht, was er dachte. Er traute ihr nicht. Sie war eine angenehme Genossin, aber nicht ehrlich. Jedenfalls nicht immer.
»Und wenn Rosa umgekommen wäre, was meinst du, was wäre das Ergebnis?«
Sie zögerte, dann antwortete sie: »Ich weiß nicht.«
Er hätte am liebsten gesagt: »Du glaubst, es zu wissen. Doch das verrätst du nicht.« Aber er sagte: »Reden wir über etwas anderes. Überall kritisieren uns Zeitungen und Zeitschriften, werden Flugblätter verteilt, die sich nicht gegen die Revolution stellen, aber gegen ihre Exzesse. Wilde Enteignungen, Prügeleien und schlimmere Gewalttaten, Zechprellereien, Zerstörungen, gerade von feinen Geschäften und Hotels. Fabrikbesitzer werden angepöbelt und geschlagen, Pfarrer angegriffen, und an zwei oder drei Orten wurden sie sogar ermordet. Das ist schlimm, aber Begleiterscheinung jeder Revolution. In Russland sind noch ganz andere Sachen geschehen.«
Sonja streckte den Rücken, als hätte sie Schmerzen. »Die Leute, die uns öffentlich angreifen, mögen die besten Absichten haben. Aber die Wirkung ihrer Angriffe ist eindeutig.«
»Und deswegen verbieten?«
»Ja. Ich glaube, die meisten Genossen in der Zentrale wollen das verbieten.«
»Aber da müssen sie sich gegen Rosa Luxemburg durchsetzen.«
»Ja, das müssen sie dann wohl. Aber eine andere Frage: Wie kommst du voran bei den Ermittlungen?«
Seine Augen schweiften über das Küchenmobiliar. Vitrine neben der Spüle, ein Gasherd, alles sah sauber aus und vermittelte den Eindruck eines bescheidenen Wohlstands, der die Menschen zu sparen veranlasste, damit sie sich hin und wieder etwas leisten konnten. Eine Reise vielleicht, ein Theaterabonnement, gutes Essen. Er fragte sich, ob Sonja allein hier lebte. Und von was sie lebte. Sie schien nicht zu arbeiten.
»Du willst mir nichts sagen.«
»Ich kann dir nichts sagen.« Er entschied sich, seine Gedanken für sich zu behalten.
Sonja stand auf, sie bewegte sich anmutig. Sie setzte Wasser auf und sagte: »Richtiger Kaffee!«
Bald zog ein Geruch durch die Küche, den Zacharias vor Jahren das letzte Mal wahrgenommen hatte. Sie brühte den Kaffee in der Kanne und goss ihn dann durch ein Sieb in Tassen. Zacharias nippte an seiner Tasse. Es schmeckte wie früher, als die Welt noch einfach war und behaglich. Es erinnerte ihn an die Mutter, die tot im Bett lag, und an Margarete, die die Beerdigung vorbereitete. »Meine Mutter ist gestorben«, sagte er unvermittelt.
Sie erschrak. »Das tut mir leid«, sagte sie formelhaft. »Und dann sitzt du hier?« fügte sie nach einer Pause hinzu. »Soll ich dir helfen?«
»Wobei?«
»Bei der Beerdigung.«
»Danke, nicht nötig.«
Sie schaute ihm fragend in die Augen. Er las darin: Hilft dir eine andere? Aber sie fragte nicht, und er sagte nichts. Und wahrscheinlich bildete er es sich nur ein.
»Die Genossen in der Zentrale werden nicht begeistert sein, wenn du nichts zu berichten hast. Und die von der USP auch nicht.«
»Es ist nicht meine Aufgabe, jemanden zu begeistern«, sagte er leise. Ihn quälte das Bild der toten Mutter.
»Ja, ja, aber du kannst dich doch nicht da hinsetzen und erklären, es gebe nichts zu sagen.«
»Und warum nicht?«
»Da kenne ich ein paar, die zerreißen dich in der Luft.«
»Friesland?«
»Was meinst denn du? Ich komme mir seltsam vor, dir etwas zu erklären. Du warst doch in Russland und hast mit Lenin gesprochen. Hast du nicht begriffen, dass wir alles neu bedenken müssen? Was ist Wahrheit, wenn nicht das, was uns nutzt? Wer kann hinter einem Attentat auf die Führerin unserer Revolution stecken, wenn nicht die Reaktion, vielleicht Leute in Eberts und Scheidemanns Auftrag? Vielleicht Monarchisten? Die Entente, die ein Chaos schaffen will? Vielleicht wirst du die Täter nie ergreifen. Aber das ist eigentlich zweitrangig. Wichtig sind die Hintermänner. Wer profitiert also? Wer hat den Auftrag gegeben? Vielleicht nicht direkt als Weisung, aber als Überlegung, dass es sinnvoll sein könne, Luxemburg zu liquidieren.«
Da musste Zacharias doch lachen, und sie blickte ihn empört an. »Na, dann können wir die Kommission ja wieder entlassen. Wir ermitteln auf der Grundlage unserer Phantasie. Großartig. Mir fielen da noch ein paar Varianten ein.«
»Friesland sagte, du hättest einen Auftrag.«
»Ja, aber wenn ich einen bekommen haben sollte, dann haben mir den die Genossen in Russland gegeben. Und dann wäre er geheim, insofern staune ich, was der Genosse Friesland
Weitere Kostenlose Bücher