Das Luxemburg-Komplott
»Kommen Sie, nehmen Sie Platz.«
Ein Kellner eilte herbei. »Der Herr wünschen?«
Zacharias blickte zu Radek, der sagte: »Bringen Sie Kaffee und etwas, womit der Genosse essen kann. Wir sind doch gerade dem Tierreich entstiegen.« Er lachte leise vor sich hin. Der Kellner verzog keine Miene und eilte zu einem Tisch an der Wand, auf dem Geschirr und Besteck standen.
»Die letzte Oase der abendländischen Zivilisation. Und wen findet man mittendrin? Den Genossen Radek.« Er faltete die Zeitung zusammen und schob sie zur Seite. Der Kellner brachte Geschirr und Besteck und wollte Zacharias Kaffee eingießen. Aber Radek wehrte ab mit einer unwirschen Handbewegung. Der Kellner verbeugte sich knapp und lief weg. Er hatte wohl Schlimmes gehört von Bolschewisten, vielleicht, dass sie Kinder fraßen, Adlige aufhängten und Geistliche zu Tode folterten.
»Sie haben Angst vor uns«, sagte Radek. »Haben was gelesen und gehört und glauben immer das Schlimmste. Aus dieser Angst erwächst ein furchtbarer Hass. Wenn diese anständigen Bürger wieder an die Macht kommen, werden sie uns in unserem Blut ersäufen. Verstehen Sie das, Genosse Zacharias? Selbst wenn wir nichts mehr gäben auf die Revolution, wenn sich alles als falsch herausstellte, dann bliebe uns noch der Zwang, um unser Leben zu kämpfen. Schon deshalb dürfen wir die Macht nicht aus der Hand geben.« Er rührte um in seiner Tasse, setzte sie an den Mund, schlürfte etwas, setzte die Tasse ab und warf zwei Stück Würfelzucker hinein. »Ich bin diesen Kaffee nicht mehr gewöhnt. Viel zu stark. Aber darüber wollten Sie gewiss nicht mit mir sprechen.«
»Ich wollte Sie etwas fragen.«
»Nur zu, fragen Sie.«
»Wie stehen Sie zum Genossen Friesland?«
»Sie fragen, weil der Ihre Absetzung betreibt.«
Zacharias nickte.
»Den Auftrag dazu hat er sich selbst gegeben. Oder er hat eine politische Einschätzung im sowjetischen ZK so verstanden oder verstehen wollen. Vielleicht ist er zornig auf Sie, wie einer, der Hoffnung auf einen setzt, dann aber erleben muss, wie die Hoffnung getäuscht wird, und nun denjenigen bestrafen will, der von dieser Hoffnung doch gar nichts wusste.« Radek rührte wieder um, dann zündete er sich eine Zigarette an. »Lassen Sie mich offen sprechen, auch wenn es um meine besondere Freundin Rosa geht. Sie wissen – wie sagt man im Deutschen? –, wir sind uns nicht grün.« Er betonte das »grün«. »Warum sagt man eigentlich nicht schwarz? Wir sind uns nicht schwarz, das klingt doch viel besser. Euch Deutsche soll einer verstehen. Es hat jüngst in Moskau eine Auseinandersetzung gegeben im Zentralkomitee. Ich will nicht in die Einzelheiten gehen, aber festhalten, dass die Genossen der Meinung sind, es liege wesentlich an der Genossin Luxemburg, dass die deutsche Revolution nicht vorankommt. Sie haben einen Auftrag von Lenin, und diesen Auftrag begreifen Sie so, dass Sie meine Freundin Rosa und ihren ständigen Begleiter unterstützen sollen. – Sie fragen, wie ich zum Genossen Friesland stehe. Nun, er ist ein Genosse. Lenin schätzt ihn, er hat enorme Fähigkeiten und wird in der Partei noch eine bedeutende Rolle spielen. Allerdings, finde ich, er ist eigensinnig. Etwa so eigensinnig wie Sie.« Radek lächelte verschmitzt.
»Nun, Genosse Radek, ich weiß nicht, wen ich sonst fragen soll. Und Lenin hat mir geraten, mich an Sie zu wenden, wenn ich eine politische Einschätzung benötige …«
»Nur zu, fragen Sie. Der Genosse Lenin hat mich vorgewarnt.«
»Nach meiner Beobachtung gibt es eine Art Fraktion in der deutschen Partei, mit Friesland und Pieck an der Spitze. Diese Gruppe hat zur Zeit in wichtigen Fragen die Mehrheit, und sie beruft sich auf Lenin. Unterstützt Lenin diese Gruppe? Erhält sie Anweisungen aus Moskau?«
»Wenn ich das wüsste«, sagte Radek nach einer Weile, in der er am Kaffee nippte und an der Zigarette zog. »Aber nehmen Sie doch!« Radek wies auf das Frühstück auf dem Tisch.
Zacharias begann zu essen. Radek hatte recht, der Kaffee war stark.
Radek beobachtete Zacharias, es schien ihn zu freuen, dass es ihm schmeckte. »In Moskau gibt es einige, die glauben, sie müssten die Revolution in Deutschland vorantreiben, nicht nur Lenin, der es aber als einziger versteht, nüchtern zu analysieren. Nicht zuletzt weil er sich gut informieren lässt.« Radek grinste, es war seine Aufgabe, den Sowjetführer zu unterrichten. »Da gibt es also das Volkskommissariat des Äußeren unter unserem Freund Georgi
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