Das Luxemburg-Komplott
Bürgerkrieg, die Deutschen, was ja am Ende aufs gleiche hinausläuft. Und dann fahre ich wieder zurück, helfe Brennholz sammeln, wechsle den Zug, weil die Lokomotive kaputtgeht, komme irgendwann in Moskau an, eile in den Kreml und werde wieder losgeschickt, irgendwohin in Russland, wo es nur kalt ist und die meisten nicht lesen und schreiben können, weshalb wir so viele Reden halten müssen.«
»Kennen Sie den Genossen Bronski?«
Radek nickte, er tat es bedächtig, als redete er mit sich selbst im stillen, suchte Argumente, verwarf sie, suchte neue Argumente, um sich von etwas zu überzeugen. Dann schüttelte er heftig den Kopf, fast hätte Zacharias sich entschuldigt, dass er Radek unterbrochen hatte. »Der gehört zu den Helfern des Genossen Sinowjew. Des Steuermanns der Weltrevolution. Und so führen sich seine Boten auch auf. Selbstherrlich, brutal. Könnte sein, dass Sinowjew auf die Karte Friesland setzt, dass er über ihn die deutsche Partei seiner Kontrolle unterwerfen will und Bronski sein verlängerter Arm ist.«
15
Z
acharias trug den Beutel zur Straßenbahn. Er setzte sich ans Ende eines Wagens, so dass er alle Sitze im Blick hatte. Vorne stritten sich zwei Frauen, vielleicht Mutter und Tochter. Sie kreischten, doch er verstand sie nicht. Sie zeterten noch, als sie an einer Haltestelle ausstiegen.
Im Präsidium fand er nur Lohmeier vor. Die anderen durchsuchten Tibulskis Wohnung. Vielleicht fanden sie Hin weise auf seinen jetzigen Aufenthaltsort. Zacharias befahl Lohmeier, im Präsidium zu bleiben, um Meldungen entgegenzunehmen, und nahm sich einen Wagen zu Tibulskis Wohnung im Wedding. Die lag im vierten Stock eines großen Mietshauses, in dem es nach Bohnerwachs stank. Zacharias hörte Kindergeschrei, das Schimpfen einer Frau, weiter oben wurden Türen geknallt. In Tibulskis Wohnung traf er Gennat und Dunkelbier, der durchwühlte gerade das Wohnzimmer, während der andere die Küche durchsuchte. Bisher hatten sie nichts ge funden, was auf einen Fluchtort hätte hinweisen können.
Zacharias betrachtete die Wohnzimmervitrine. Darin stand sozialistische Literatur, auch Lenins Arbeit über Staat und Revolution in deutscher Übersetzung. Dazu ein paar Schriften von Marx und Engels, auch Rosa Luxemburgs Abrechnung mit Bernstein unter dem Titel Sozialreform oder Revolution? Zacharias nahm die Broschüre in die Hand und blätterte. Viele Stellen waren mit dem Lineal unterstrichen, außerdem Ausrufezeichen dort, wo Tibulski die Polemik gegen den Revisionismus besonders gelungen fand. Mit der Broschüre in der Hand schaute Zacharias in die Küche. Gennat schnaufte, das bisschen körperliche Arbeit strengte ihn an. Er hatte die Schubladen offen gelassen, Besteck und Kochlöffel lagen auf dem Tisch.
Dunkelbier im Wohnzimmer dagegen verrichtete seine Aufgabe fast lautlos. Gerade betastete er das Sofa, vorsichtig und im Bemühen, seine Finger jede Erhebung oder Vertiefung spüren zu lassen. Dabei verzog er das Gesicht, als höre er zu, wo es doch nichts zu hören gab.
Zacharias wandte sich wieder der Vitrine zu. Er schob Gläser hin und her, fand aber nichts, nur die Finger wurden staubig. Unten hatte die Vitrine eine abschließbare Holztür, aber es steckte kein Schlüssel. Zacharias suchte in der Küche nach einem Werkzeug, fand einen Schraubendreher, steckte den zwischen Tür und Rahmen über dem Schloss und zog, bis es knackte. Er drückte den Schraubendreher tiefer in den Spalt und zog wieder, die Tür sprang auf. Im Fach lag nur ein Album. Zacharias zog es heraus und setzte sich aufs Sofa, mit dem Dunkelbier gerade fertig war. Er blätterte und betrachtete die Fotos. Ein alter Mann und eine alte Frau in einem schwarzen Umhang vor einer hellgetünchten Wand, wohl die Großeltern, da auf der nächsten Seite ein jüngeres Paar abgebildet war, demnach Tibulskis Eltern. Er blätterte weiter, bis er ein Foto fand, das eine kleine Gruppe vor einer Gaststätte zeigte. Sie hieß Zum Kaisereck, im Hintergrund war verschwommen ein Bahnübergang zu sehen. Zacharias erkannte die Eltern und Tibulski, der jung aussah, das Foto schien aus der Vorkriegszeit zu stammen. Er nahm es aus den Fotoecken und zeigte es Dunkelbier. »Kennen Sie diese Gaststätte?«
Dunkelbier schüttelte den Kopf.
Zacharias ging in die Küche und zeigte Gennat das Foto. Der kannte die Gaststätte ebensowenig. »Das dürfte nicht so schwer sein, sofern sie in Berlin oder Umgebung liegt. Gaststätten stehen meistens in Telefonbüchern, viele
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