Das Luxemburg-Komplott
sogar in Reiseführern.« Er betrachtete das Bild noch einmal genauer. »Nur, was hätten wir davon, wenn wir es rauskriegten?«
Zacharias wusste keine Antwort. Er setzte sich wieder aufs Wohnzimmersofa und blätterte weiter. Ein Bild zeigte Kinder im kleinen Vorgarten eines Hauses, am Rand eine Frau. Zacharias drehte es um. Auf der Rückseite stand »Bei Tante Hille«. Sonst fand er nichts. Er hatte gehofft, Tibulskis Leben blättere sich ihm auf, wenn er das Album betrachtete. Das war nicht geschehen, aber vielleicht wusste Bärmann mehr. »Wenn der Herr Bärmann kommt, fahren Sie ihn bitte ins Präsidium, ich habe noch einige Fragen an ihn.«
Dunkelbier nickte.
»Warten Sie, bis er kommt.«
Zacharias verließ das Mietshaus, irgendwo stritten sich Leute, Kinder kreischten. Er erschrak, als eine Tür zugeschlagen wurde.
In der Straßenbahn blätterte er noch einmal im Fotoalbum, eine alte Frau, die ihm gegenübersaß, beobachtete ihn neugierig. Auf der Straße führten Milizionäre zwei Männer und eine Frau ab zu einem Lastwagen, der mit geöffneter Heckklappe wartete. »Es sind schreckliche Zeiten«, sagte die Frau. »Da werden unschuldige Menschen eingesperrt, einfach so, weil sie verdächtigt werden, gegen die neue Regierung zu arbeiten. Und man sieht sie nie wieder.«
»Woher wissen Sie das, dass sie unschuldig sind und nie wiederkommen?«
»Das hört man überall. Haben Sie das noch nicht gehört?«
Zacharias schüttelte den Kopf. Er wusste nicht, wie die Menschen auf der Straße dachten. Was sie sich erhofften, was sie fürchteten. Er lebte weit weg von ihnen, wie auf einer kleinen Insel im großen Meer.
Im Präsidium traf er wieder Lohmeier, und da Zacharias schlecht gelaunt war, spielte er mit dem Gedanken, Lohmeier doch einzusperren und aburteilen zu lassen. Wer weiß, was dieser Kerl noch auf dem Kerbholz hatte. Statt dessen legte er das Foto aus Tante Hilles Garten auf den Tisch und fragte Lohmeier, ob er damit etwas anfangen könne.
Lohmeier verzog keine Miene und betrachtete das Bild genau, auch die Rückseite. »Inwiefern soll uns das Foto helfen?«
»Ich weiß noch nicht«, sagte Zacharias. »Aber stellen Sie sich vor, Tibulski muss untertauchen. Wo kann er das am besten tun? Eher doch nicht bei seinen Kumpels, dort suchen wir zuerst, das weiß er. Also besucht er eine Tante, einen Schulfreund, Leute jedenfalls, die mit ihm politisch nicht in einen Zusammenhang gebracht werden. Aber er geht nicht weit weg von Berlin, womöglich wird er ja bald wieder gebraucht.«
Zacharias setzte sich in seinem Dienstzimmer hinter den Schreibtisch, faltete die Hände auf der Tischplatte und starrte an die Wand. Ein heller rechteckiger Fleck zeigte, dass dort noch bis vor kurzem ein Bild gehangen hatte. Ein Porträt des Kaisers womöglich. Er bedachte noch einmal, was Radek ihm erklärt hatte. Es war ein Durcheinander. Wer konnte das seltsame Attentat beauftragt haben? Friesland? Bronski oder Sinowjew selbst? Dserschinski? Oder Liebknecht, dem solche Verrücktheiten auch zuzutrauen waren. Welche Wirkung sollte das Attentat erzeugen? Sollte es vielleicht doch zeigen, dass der Feind sogar in die Reichskanzlei eindringen konnte, weil die Regierung ihn nicht richtig bekämpfte? Die Wirkung war verpufft. Was würdest du tun, wenn der Plan nicht aufging? Er kratzte mit den Fingernägeln über die Tischplatte. Was würdest du tun?
Es klopfte, Dunkelbier trat ein, gefolgt von Bärmann. Zacharias stand auf und reichte Bärmann die Hand. Er bot ihm einen Platz an und bedankte sich, dass er gleich gekommen war. »Das ist keine Vorladung, sondern eine Bitte«, sagte er, um Bärmann zu beruhigen. Er bat Dunkelbier, das Zimmer zu verlassen, dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch, Bärmann gegenüber.
»Das ist doch ein tapferer Mann, dieser Tibulski, nicht wahr?«
Bärmann nickte. Sein Blick wanderte durch den Raum, als wollte er sichergehen, dass nirgendwo eine Gefahr lauerte.
»Sie haben ja nun einiges gehört von diesem komischen Anschlag. Haben Sie eine Meinung dazu?«
»Verrückt.«
»So sehe ich es auch, einfach nur verrückt. Es gibt hier welche, die glauben, es handle sich um einen Anschlag auf die Genossin Luxemburg.«
Bärmann zuckte die Achseln. Er schloss die Augen, wie um sich zu konzentrieren, dann schaute er Zacharias an. »Wie ich hörte, standen Tibulski und Genossen vor der Genossin Luxemburg und haben sie nicht erschossen. Es wäre doch ein Leichtes gewesen.«
»Genau, es war nie
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