Das Luxemburg-Komplott
bisschen spät darauf.«
»Aber nicht zu spät. Auf Wiedersehen, Genosse Bronski. Ein Papier mit der Unterschrift Lenins oder Dserschinskis würde uns helfen. Das können Sie gefahrlos mit sich führen, schließlich sind wir an der Macht. Und mir würde es Klarheit bringen, beispielsweise darüber, ob nur Sie die Genossin Luxemburg ermorden wollen oder ob auch andere hinter diesem Wahnsinnsplan stecken.« Zacharias stand auf und ging zur Tür. Er öffnete sie und stellte sich daneben.
Bronski schaute ihn grimmig an. »Das hätten Sie besser nicht getan«, knurrte er.
Zacharias antwortete nicht. Er schaute dem schweren Mann nach und wusste, der würde das nicht auf sich sitzen lassen. Die Haustür schlug zu. Er ging in sein Zimmer, dort lag Margarete auf dem Bett und starrte an die Decke. Er setzte sich auf die Bettkante und nahm ihre Hand. Die war kalt. »Wir sind fertig«, sagte er.
»Dieser Mann macht mir angst. Musst du mit solchen Leuten umgehen?«
»Ich habe ihn rausgeschmissen. Vielleicht kommt er wieder, vielleicht nicht.«
»Und wer ist er?«
Zacharias zögerte, dann sagte er: »Ein Kurier aus Russland.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte sie. »Bist du so wichtig, dass sie dir einen aus Russland hinterherschicken?«
»Eigentlich nicht. Aber ich habe inzwischen eine Stellung in der Regierung, die mich für manche Leute interessant macht. Die bilden sich ein, sie könnten mit meiner Hilfe die Revolution retten.« Er lachte trocken, es hörte sich so albern an.
»Muss die denn gerettet werden?«
»Manche glauben, sie müsse vor den Revolutionären gerettet werden. Die eine Partei will sie vor der anderen retten und umgekehrt. Und selbst in der eigenen Partei gibt es zwei, vielleicht drei verschiedene Lager. Und allen geht es natürlich nur um die Revolution, und die jeweils anderen sind schuld, dass die in Gefahr ist. Man ist sich nicht einmal über die Gründe einig, warum sie in Gefahr ist. Und was die Gefahr sein soll, darüber wird auch gestritten. Zuviel Freiheit, zu wenig Freiheit, zuviel Bolschewismus, zu wenig Bolschewismus, zuviel Zentralismus, zu wenig Zentralismus. Es ist idiotisch.«
In der Nacht lag sie neben ihm. Er spürte, dass auch sie nicht schlief. In seinem Kopf vermischten sich Ängste mit Erinnerungen. Immer wieder das Gesicht von Bronski, den Zacharias nun endgültig Sinowjew zugeordnet hatte, der Komintern, die sich als Generalstab der Weltrevolution aufspielte. Und wenn er den Stier bei den Hörnern packte, wenn er mit Radek sprach, der doch die deutschen Verhältnisse besser kannte als der Rest der Internationale zusammen? Der hatte einen direkten Zugang zu Lenin, und gewiss konnte er über die neu eingerichtete Sowjetbotschaft Unter den Linden die Parteiführung per Telegraf erreichen. Wenn er Radek bat, eindeutige Instruktionen einzuholen und eine Stellungnahme zu den Streitereien in der deutschen Partei? Über diesem Gedanken schlief er ein.
*
Am Morgen lag Margarete immer noch neben ihm. Ihre Augen waren offen, als hätte sie keinen Augenblick geschlafen. »Du warst unruhig«, sagte sie. »Hast irgend etwas gebrabbelt von Bauern, Getreide und Schießen.«
»Blöde Träume«, sagte er. »Seit dem Krieg haben das viele.«
Er trank nur einen Becher Zichorienkaffee und eilte zur Sowjetbotschaft. Radek musste helfen, der musste wissen, wer Bronski war und auf wessen Rechnung er arbeitete. Der Posten am Tor der Botschaft war in Zivil gekleidet, er verlangte einen Ausweis.
»Ich habe nur ein Soldbuch«, sagte Zacharias auf Russisch. »Sagen Sie dem Genossen Radek, der Genosse Sebastian Zacharias möchte ihn sprechen.«
Der Posten winkte zum Hauseingang, es erschien ein Uniformierter, an der Seite ein Pistolenhalfter. Der Uniformierte eilte zum Posten, der flüsterte ihm etwas ins Ohr, und der Bewaffnete ging ins Haus. Nach einer Weile kehrte er zurück und flüsterte nun seinerseits dem Posten etwas ins Ohr. Der Posten nickte, der Uniformierte entfernte sich zum Haus, und der Posten sagte: »Der Genosse Radek ist nicht im Haus, er ist gerade weggegangen, frühstücken.«
Zacharias überlegte kurz, dann bedankte er sich und ging zum Adlon. Er fand Radek hinter einer französischen Zeitung im sonst leeren Hotelrestaurant. Auf dem Tisch standen Brötchen, Schinken, geräucherte Fische, der Duft von Bohnenkaffee zog durch den Saal. Zacharias klopfte leise auf den Tisch, da erst entdeckte Radek ihn und erkannte ihn sogleich. »Der Genosse Zacharias«, sagte er.
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