Das Luxemburg-Komplott
dann zerteilt in Hunderte von Bächen, deren Lauf niemand vorhersehen kann. Da ist keiner, der das zu lenken versucht. Die Unabhängigen nicht, weil sie keine Ideen haben und keinen Mut, wir nicht, weil wir innerlich zerrissen sind, viel stärker, als wir es uns selbst zugeben. Rosa, wir laufen gegen die Wand. Die Uneinigkeit der Konterrevolution oder was immer sie dazu veranlasst, uns nicht anzugreifen außerhalb von Bayern, hat uns bislang das Leben gerettet. Und dass die Entente noch nicht einmarschiert ist, verschafft uns eine Gnadenfrist. Aber vielleicht muss sie gar nicht eingreifen, sondern spekuliert darauf, dass wir uns selbst zugrunde richten. Dass wir im Kampf um den richtigen Weg im Sumpf enden.«
»Du meinst, ich habe unrecht? Warum gehst du dann nicht zu Friesland?«
»Bleib ernst. Wir müssen uns der Wirklichkeit stellen. Vielleicht sehe ich sie ja zu pessimistisch, aber auch diese Sicht kann uns weiterbringen.« Er wandte sich Zacharias zu. »Für wen arbeiten Sie?«
»Für die Genossin Luxemburg.«
»Ach, reden Sie doch keinen Unsinn. Halten Sie mich nicht für dumm.«
Zacharias schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Für Ihren Genossen Dserschinski.« Er glaubte, eine kluge Antwort gewählt zu haben. Es war die Wahrheit und die Erinnerung an einen Freund von Jogiches und Rosa.
»Also für die Tscheka.«
Rosa stöhnte.
»Und was ist Ihr Auftrag?«
»Rosa Luxemburg zu schützen und über ihre Haltung zu berichten.«
»Aber das passt doch nicht zum Mordauftrag, von dem Sie fabuliert haben!«
Zacharias gab gerafft wieder, was Radek berichtet hatte über die Streitereien in Moskau. »Dieser Bronski ist ein Sinowjew-Mann. Er beruft sich auf meinen Auftrag, der aber nicht von Sinowjew stammt. Wahrscheinlich erfindet er einen Befehl von Dserschinski oder sogar Lenin.«
»Glaube ich nicht«, sagte Jogiches. »Vielleicht war es so: Die verschiedenen Gremien von Partei, Regierung und Internationale haben ihre Positionen aufeinander abgestimmt, und Sinowjew, wir kennen diesen Hitzkopf doch, hat daraus Schlussfolgerungen gezogen, von denen er glauben mag, sie entsprächen der gemeinsamen Haltung dieser Gremien. Vielleicht mit dem Vorsatz, die Internationale müsse vorangehen, gewissermaßen immer radikaler sein als die Regierung und die Partei, die diese Regierung stellt.«
»Wenn das stimmt, bleibt als Tatsache, dass Bronski einen Auftrag von Dserschinski vortäuscht«, sagte Zacharias. »Und das tut er, weil er weiß, dass ich anderer Leute Aufträge nicht ausführen würde und es auch nicht darf. Das kann nur den Grund haben, dass die Komintern noch nicht genug Agenten in Berlin hat, vor allem nicht solche, die direkten Zugang haben zur Genossin Luxemburg.«
»Oder die Tscheka ist auf Sinowjews Linie eingeschwenkt«, sagte Jogiches.
»Das glaube ich nicht«, warf Rosa ein. »Feliks und Sinowjew, das passt nicht zusammen. Ich kenne beide, vor allem Feliks. Der würde mir doch keinen Mörder auf den Hals schicken.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte Jogiches. »Wenn die Revolution es verlangt, tut der gute Feliks alles.«
»Fast alles, nur ermorden würde er mich nicht.«
Jogiches schaute sie fragend an. Dann lächelte er und war gleich wieder ernst. »Und nun?«
»Ich sollte weiter so tun, als würde ich Bronski folgen. Allerdings verlange ich einen schriftlichen Beweis, dass er für die Tscheka arbeitet. Bringt er den nicht, dann ist der Fall klar. Bringt er ihn, dann sehen wir weiter.«
»Sie haben viele Leute getötet, stimmt doch?« Rosa sprach leise und langsam.
»Ja.«
»Und war das nötig?«
»Vielleicht.«
»Und wenn es sich als falsch herausstellt?«
Zacharias hob die Unterarme und ließ sie wieder sinken. Dann sollte ich mir die Kugel geben, dachte er. Wenn ich dazu den Mut hätte.
»Und müssen wir das auch tun?« Sie sprach mehr mit sich selbst.
Zum ersten Mal erlebte er, dass Rosa sich nicht sicher war.
»Wenn der Feind auf uns schießt, müssen wir zurückschießen.«
»Das ist mir zu einfach. Natürlich, auf die Freikorpsleute würde ich selbst schießen, wenn ich es denn könnte. Aber all die anderen, die Sozialdemokraten, die Abtrünnigen in den eigenen Reihen. Manche fürchten den Bürgerkrieg im Bürgerkrieg, wir gegen die USP. Sie glauben es vielleicht nicht, aber ich kann nachts kaum schlafen, weil ich solche Angst vor den Träumen habe, blutigen Träumen. Ich kann dem nicht ausweichen. Wenn man Revolution macht, dann muss man bereit sein, die Feinde zu
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