Das Luxemburg-Komplott
ganz in feindlicher Hand. Im Osten stehen Freikorps Gewehr bei Fuß, und selbst die Mehrheitssozialdemokraten stecken Leute in Uniformen. In Dortmund hat es gerade Schießereien gegeben, in Bremen auch. Das einzige, was mich erstaunt, ist, dass sie noch nicht angegriffen haben.«
Zacharias dachte, es wäre sinnvoll, die Kommission so schnell wie möglich aufzulösen. Dann könnte er Rosa wieder beschützen, das erschien ihm sinnvoll, gerade nach Bronskis Drohung. Er würde sie gegen alle verteidigen, die ihr etwas antun wollten.
Wenn er nur herausbekäme, wie die Verwicklungen aufzulösen waren. Sollte er von Bronskis Überlegungen berichten? Nein, Spekulationen brachten nichts, zumal Zacharias nicht wusste, wer der tatsächliche Urheber der Mordgedanken war. Und wenn er Radek richtig verstanden hatte, wusste der es auch nicht. Vieles deutete auf Sinowjew hin, aber bewiesen war es nicht.
»In dem Punkt hat Karl ja recht. Nur, erklär das mal den Unabhängigen. Die wollen die Kommandogewalt über die Rote Armee nicht verlieren. Lieber riskieren sie es, dass dieser ungeordnete Haufen vernichtet wird in der ersten Schlacht. Däumig und Genossen fürchten, wenn sie auch nur einen Teil des Oberbefehls aus der Hand gäben, würde unsere Partei sie bald an die Wand drücken. Die wissen, wie die Mehrheitsverhältnisse in unserer Zentrale sind.«
»Der letzte Dienst, den uns die Genossin Luxemburg erweisen kann, ist, im richtigen Augenblick durch die richtige Kugel zu sterben«, sagte Zacharias.
Rosa und Jogiches starrten ihn an. Rosa verengte die Augen, als könnte sie ihn nur unscharf sehen.
»Es gibt Leute, die denken das. Und es sind keine Konterrevolutionäre, sondern Genossen. Ich traf einen Genossen Bronski aus Moskau, der hat mit diesem Gedanken gespielt. Im wahrsten Sinn des Wortes gespielt. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis aus dem Spiel Ernst wird. Und ich erhalte den Mordauftrag.«
»Von wem?« fragte Jogiches scharf.
»Von Dserschinski, Lenin …«
»Das glauben Sie doch selbst nicht«, zischte Rosa. »Bei allem Streit, wir bringen uns doch nicht gegenseitig um.«
»Wenn es die Revolution rettet«, sagte Zacharias. »Für die Revolution oder das, was sie darunter verstehen, tun manche alles. Sie ordnen alles diesem Ziel unter. Es gibt für sie keine Moral außer der, dass richtig ist, was der eigenen Sache nutzt.«
Jogiches stampfte einmal auf. Er sagte leise: »So denken sie, die Leninisten. Da hat der Genosse Zacharias recht. Nur, es gibt doch eine Grenze, das menschliche Leben. Jedenfalls das von Revolutionären.«
»Es gibt für Bolschewisten nichts Schlimmeres als Revolutionäre, die anders denken und handeln als sie. Denken Sie nur an das Schicksal der Menschewiki. Im Gefängnis, erschossen, im Exil, in der Verbannung«, sagte Zacharias.
»Das stimmt. Ich habe längst kritisiert, wie die mit ihren Leuten umgehen, aber ich habe es noch nicht veröffentlicht.«
»Aber es hat sich herumgesprochen, und die wollen auf jeden Fall verhindern, dass Sie das veröffentlichen. Rosa Luxemburg kritisiert die russische Revolution, das wäre eine Niederlage für die Bolschewiki.« War das der Anknüpfungspunkt? Gleich verwarf er den Gedanken wieder, denn mit Rosas Tod war die Gefahr nicht gebannt, dass ihr Buch herauskam. Vielleicht machte ihr Tod es um so wahrscheinlicher. Womöglich hatten die – wer immer sie auch waren – Rosa bislang nicht getötet, weil sie Angst hatten, das Buch würde unter großem Aufsehen postum verlegt.
»Nein, in meinem Buch kritisiere ich zwar die Bolschewiki, aber vor allem lobe ich sie, weil sie als erste den Schritt gewagt haben. Und angesichts der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Russland haben sie es richtig gemacht. Die Massen können sich kaum selbst organisieren, wenn sie wenig politische Erfahrungen haben. Und doch bin ich gegen die Diktatur einer Partei oder sogar eines Zentralkomitees und gegen die Entmachtung der Arbeiterräte. Vor allem bin ich a ber gegen den Terror.«
»Trotzdem, unsere gemeinsamen Feinde werden die kritischen Stellen ausschlachten – Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Sie werden sie gegen uns wenden, wie man eine Lanze umdreht, um sie dem Feind in den Körper zu rammen.« Jogiches sprach langsam. »Du weißt, ich halte weniger von Lenin als die meisten Genossen hier. Er macht Fehler. Aber wir machen sie auch. Unsere Revolution ist wie ein reißender Strom, der sich seinen Weg bahnt und sich
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