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Das Luzifer Evangelium

Das Luzifer Evangelium

Titel: Das Luzifer Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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dazu aufgefordert wurde.
    Ich rief sofort Thrainn in Island an. Dort war alles in Ordnung.
    Die Mail von Koroljov habe ich nicht beantwortet. Es würde mich nicht überraschen, wenn die Amerikaner seinen Datentransfer überwachten. Auch wenn Henrichsen mir versichert hatte, dass das Handy und der mobile Internetzugang sicher wären – er hatte etwas von einer Verschlüsselung der analogen und digitalen Signale gesagt –, fürchtete ich, dass es richtigen IT-Experten möglich sein könnte, mich über die nächstgelegene Basisstation aufzuspüren. Henrichsen hielt das für unmöglich, doch ich dachte mir meinen Teil.
    2
    Ich habe etliche Monate meines Lebens in einer Nervenheilanstalt verbracht, wofür ich mich nicht schäme. Es hat mir dort gefallen. In Gesellschaft all der anderen Verrückten. Meinen Freunden. Wir brauchen alle mitunter ein Kuckucksnest, in dem wir uns verstecken können. Es sind die Nerven … nichts Dramatisches. Keine amüsanten Zwangsvorstellungen, keine cholerischen Anfälle. Nur ein Anflug von Schwermut und Menschenscheu, gekoppelt mit geringem Selbstvertrauen und einem Hang zum Selbstmitleid. Nichts, dem man nicht mit einer täglichen Dosis Seroxat beikommen konnte. Ich habe so ziemlich alles probiert: Individualtherapie. Gruppentherapie. Kognitive Therapie. Gestaltungstherapie. Psychodynamische Kurzzeittherapie. Rosa Pillen. Blaue Pillen. Bittere Pillen …
    Als ich das erste Mal Zuflucht in der Klinik suchte, bat der Psychiater mich, über Mama und Papa zu reden, über das, was in jenem Sommer geschehen war. Ich verschloss mich wie eine Seeanemone und verbrachte einige Tage in diesem Zustand. Sie gaben mir Tabletten, die die Sonne zum Scheinen bringen sollten, aber ohne Erfolg. Als ich wieder gesund war, entließen sie mich. Ohne die geringste Ahnung, dass ich ihnen etwas vorgespielt hatte, denn ich war nie krank gewesen, so dass ich folglich auch nicht gesund werden konnte. Das ist vielleicht nicht ohne Weiteres zu verstehen. Ich bin nicht verrückt, wenn auch sicher nicht normal. Meine Nerven sind einfach ein bisschen überspannt. Ich gebe zu, dass das keinen Sinn ergibt. Sei’s drum. Wer einmal in einen Spiegel geblickt und darin voller Abscheu sein eigenes Gesicht erkannt hat, wird verstehen, was ich zu sagen versuche. Wer einmal in den Sumpf der Depression geraten ist und sich selbst hasst, weil er weiß, wie wenig es an sich zu lieben gibt, wird vermutlich den Gedankenwirrwarr erkennen, den aufzudröseln ich versuche.
    3
    Eine E-Mail, die von meiner Universitätsadresse an die GMail-Adresse weitergeleitet worden war, beunruhigte mich. Ein amerikanischer Forscher – ein Kulturanthropologe namens Neil McHull vom MIT, Massachusetts Institute of Technology – bat mich, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Wir hätten beide Nutzen davon bei unserer Suche nach dem Manuskript, behauptete er. Wie konnte er von dem Manuskript wissen? Er gab mehrere E-Mail-Adressen und Telefonnummern an. Auch an den nächsten Tagen kamen E-Mails von Neil McHull. Tag für Tag. Wie Spam.
    Spät am Abend rief ich Thrainn in Island an, um mich zu erkundigen, ob es erste Ergebnisse gab und ob auch er seltsame Anfragen erhielt, doch nichts deutete darauf hin, dass meine Reise nach Island bekannt geworden war. Das Leck musste in Kiew sein. Oder in Oslo.
    Thrainn berichtete mir, dass einer der Sprachforscher die Keilschrift identifiziert hatte. Die linke Spalte sei auf Akkadisch geschrieben, eine Schrift, die in Mesopotamien bis um Christi Geburt herum verwendet wurde. Der Sprachforscher hatte auch schon einen Abschnitt übersetzt. Das kleine Fragment hatte den Stil einer Apokalypse. Ein Engel aus Licht – ein fliegender Lichtbringer aus dem Himmel – war auf die Erde gekommen, um die Welt und die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren.
    »Mit etwas Wohlwollen und Fantasie können wir diesen Lichtbringer als einen vorchristlichen Vorläufer von Luzifer deuten«, sagte Thrainn. »Luzifer ist einer der vielen Beinamen von Satan. Auf Latein setzt sich dieser Name aus den Silben lux und ferre zusammen – direkt übersetzt bedeutet das Lichtbringer oder Lichtträger. Die Bezeichnung bezieht sich auf den Morgenstern, die Venus. Der Lichtbringer in diesem Manuskript kann ein Hinweis sein, dass sowohl der Text als auch die yezidische Religion ihren Ursprung in den mesopotamischen Mythen haben.«
    »Soll das heißen, dass der Pfau Melek Taus eine frühe Version von Satan ist?«
    »Das ist nicht sicher. Und mitunter verwirrend.

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