mit meiner Internet-Jagd auf Information fort und verbrachte Stunde um Stunde vor dem Bildschirm. www.theology.org, www.palaeography.com, www.archaeology.org. Ich las englischsprachige ukrainische Webzeitungen, aber der Mord an einem Konservator war offensichtlich keiner Erwähnung wert. Des Weiteren versuchte ich, mehr über Marie-Élise Monnier herauszufinden. Auf keiner französischen Seite wurde ihr Verschwinden erwähnt. Aus Mangel an Hinweisen blätterte ich mich durch das Archiv der diversen Diskussionsforen, an denen sich Marie-Élise beteiligt hatte. Sie schien eine kleine Querulantin gewesen zu sein. Sachlich, aber dickköpfig. Jemand, der niemals aufgibt. Ein bisschen wie ich.
Eine Reihe von Diskussionen, in die sie sich eingemischt hatte, drehte sich um Themen, die zumindest indirekt etwas mit theologischen Theorien über den Sündenfall und das Böse bis hin zur Satansverehrung zu tun hatten. Dieser Zug an Marie-Élise wirkte eher etwas schrullig. Möglicherweise hätten wir gut zusammengepasst. Von ihr stammten fast vierzig Beiträge über die Verbindungslinien zwischen den unterschiedlichen Wesen des Gottes Baal, des Dämonen Baal, Bael oder Ba’al Zebûb – Herr der Fliegen –, besser bekannt als Beelzebub. So wie ich ihre engagierten Beiträge interpretierte, wollte sie eine Verwandtschaft zwischen Baal, dem babylonischen Gott Marduk und Satan nachweisen. Sie wären alle ein und dasselbe Wesen, postulierte sie. Andere argumentierten, Bael wäre König der Hölle und Baal Herzog. Ja, ja. Als ich mich bis 2003 durchgearbeitet hatte, stieß ich auf eine kurze, aber interessante Korrespondenz zwischen Marie-Élise alias Lilith und einer Userin, die sich Monique nannte. Man musste schon meine Ausdauer und Besessenheit besitzen, um ihren unspektakulären Gedankenaustausch im Lärm der ansonsten stimmgewaltigen Debatten überhaupt wahrzunehmen. Moniques kärgliches User-Profil sah aus wie folgt: Name: ---
Nickname: Monique
Geb.: ---
Beruf: ---
Firma: ---
Wohnhaft: ---
E-Mail:
[email protected]Tel. privat: ---
Mobil: ---
Fax: ---
Niederlande.
Amsterdam?
Ich schickte eine E-Mail an
[email protected] und bekam unmittelbar die automatische Antwort, dass es den Account nicht mehr gab. User unknown .
Monique zeigte ein auffälliges Interesse an Marie-Élises Kenntnissen zu esoterischen Themen. Okkultismus. Teufel und Dämonen. Geisterbeschwörung. Exorzismus. Aber wo Marie-Élise engagiert und jugendlich halsstarrig war, war Monique introvertiert, zurückhaltend, fast unsichtbar. Monique hatte keine Agenda, lieferte keine Argumente, angelte aber kontinuierlich nach Informationen. Nach kurzer Zeit wurde die Korrespondenz im Forum beendet. Sie brach mitten in einem Meinungsaustausch über den assyrisch-babylonischen Dämonen Pazuzu ab, trotzdem war ich beinahe sicher, dass Monique und Marie-Élise weiter per E-Mail kommuniziert hatten. Im Forum tauchte Monique danach nicht mehr auf.
Das Leben ist ein Irrenhaus mit Schokoglasur. Einige können sich besser unterordnen als andere, sich verstellen, die Falschheit der anderen besser ertragen. In der Nervenheilanstalt, unter den Verrückten und Verbannten, war eine Einstellung zum Leben und zum Tod zu spüren, die ich als wesentlich ehrlicher und echter empfand als »draußen«. Zwei meiner Freunde begingen Selbstmord, während ich eingewiesen war. Marion und Eskil. Sie war manisch-depressiv, und er glaubte, von einem Dämon besessen zu sein. Wir haben alle unser Päckchen zu tragen. Im Grunde genommen haben sie weniger das Leben verlassen, als ihren Tod vorgezogen. Die Endstation des Seins. Beide starben aus Ehrfurcht vor dem Leben. Man muss schon einen Hang zum Wahnsinn haben, um das zu verstehen. Ich verstand es.
Eskils Dämon hieß Pazuzu.
3
Ich spazierte jeden Nachmittag im Kapuzenpulli und mit einem Rucksack auf dem Rücken runter ins Dorf und kaufte ein. Zeitungen.
Ich tat, als wäre ich im Urlaub. Lief im Wald um die Hütte herum und stieg manchmal bis zur Baumgrenze auf. Ich kochte meinen Kaffee auf einem mit Holz angefeuerten Ofen. Mit einer rostigen Sense versuchte ich, das Gras um die Hütte zu mähen. Dazwischen war ich von morgens bis abends auf der Jagd nach Fakten und Theorien. Über Triquetra, über Melek Taus, über Marie-Élise Monnier, nach allem, was ein klärendes Licht auf die Handschrift werfen könnte. Am Ende wurde mein Fleiß belohnt. In einem Universitätsarchiv in Cambridge, das eine Reihe internationaler Zeitschriften