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Das Luzifer Evangelium

Das Luzifer Evangelium

Titel: Das Luzifer Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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digitalisiert hatte, stieß ich über einen Wikipedia-Link auf die englische Zusammenfassung eines Artikels in der italienischen Fachzeitschrift Rivista Teologica . Im Oktober 1969 hatte ein Theologieprofessor der Päpstlichen Universität Gregoriana, Giovanni Nobile, einen Kommentar über »die kontroversen Hypothesen in Zusammenhang mit einem verschwundenen altertümlichen Manuskript mit der Bezeichnung Luzifers Evangelium « verfasst. Nobiles Argumentation lief darauf hinaus, dass die Handschrift, die historischen Quellen zufolge lange vor dem Alten Testament verfasst worden sein sollte – vermutlich zweitausendfünfhundert Jahre vor Christus –, aller Wahrscheinlichkeit nach eine Fiktion war. Die bekannteste Referenz für die Handschrift – die angeblich beim Konzil von Nicäa 325 vernichtet worden war – stammte aus einer weniger bekannten Textsammlung des Athanasius von Alexandria. Er schrieb, dass die ketzerische Schrift, später Luzifers Evangelium genannt, unter dem Titel Prophetien des Lichtengels verbrannt und die Asche in der Gosse verstreut worden sei. Laut Professor Nobile entsprach die Behauptung, die Kirchenväter hätten in Nicäa alle kontroversen Schriftstücke vernichtet, der Wahrheit, wenngleich die Verbrennung von Texten nirgendwo dokumentiert sei. Die Textsammlung, so Nobile weiter, die Athanasius zugeschrieben wurde, sei also aller Wahrscheinlichkeit nach eine Fälschung aus dem siebten Jahrhundert. Um seine Hypothese, dass es sich bei Luzifers Evangelium um ein Falsifikat handelte, zu untermauern, verwies Nobile darauf, dass Symbole wie Triquetra und Melek Taus kaum in viertausendfünfhundert Jahre alten Handschriften anzutreffen sein dürften. Das sah ich anders. Gerade die Hinweise auf Triquetra und Melek Taus legten die Schlussfolgerung verführerisch nahe, dass es sich bei der Kiew-Handschrift um eben jene handelte, deren Existenz Nobile leugnete. Doch selbst Professoren können irren. War es möglich, dass Luzifers Evangelium sich in meinem Besitz befand?
    4
    Obgleich der Artikel 1969 geschrieben worden war, in dem Jahr, in dem ich meine ersten unsicheren Schritte machte, rief ich in der Pontificia Università Gregoriana an und erkundigte mich dort über den Artikelschreiber Giovanni Nobile.
    »Wer?«, fragte die Dame in der Telefonzentrale.
    »Giovanni Nobile.«
    »Noch nie von ihm gehört.«
    »Er war Ende der Sechzigerjahre bei Ihnen angestellt.«
    Das Lachen war herzlich und schallend.
    Ich bat sie, mit der theologischen Fakultät verbunden zu werden. Auch dort war Nobile unbekannt. Ich fragte, ob es möglich wäre, mich mit jemandem zu verbinden, der der Fakultät schon länger angehörte.
    Der Mann, der schließlich den Hörer abnahm, beendete noch schnell ein Gespräch mit einer Person, die sich offenbar im selben Raum befand wie er. Der Klang der Stimme ließ mich aufhorchen. Es kam mir vor, als hätte ich sie schon einmal bei einem Vortrag gehört. Jemand lachte, eine Tür fiel ins Schloss. Dann wurde in den Hörer geatmet, und eine Stimme stellte sich als Professore Aldo Lombardi vor.
    Als ich meinen Namen nannte, wurde er still. So still, dass ich im Hintergrund, auf einer römischen Straße, ein Auto hupen hörte.
    »Professor?«
    »Entschuldigen Sie. Ich bin nur so überrascht.«
    »Überrascht?«
    »Dass Sie mich anrufen.«
    »Wieso das?«
    »Bjørn Beltø. Bjørn Beltø, persönlich.«
    Ich bin ein einfaches Gemüt. Es schmeichelte mir, dass er mich kannte.
    »In akademischen Kreisen haben Sie nach wie vor einen Namen. Was verschafft mir die Ehre?«
    »Ich suche Informationen über einen gewissen Giovanni Nobile, der Ende der Sechzigerjahre Professor an Ihrem Institut war.«
    Wieder wurde er still. Vor meinem Küchenfenster krakeelte eine Krähe.
    »Professor Lombardi?«
    »Es hat schon viele Jahre niemand mehr nach Giovanni Nobile gefragt.«
    »Kannten Sie ihn?«
    »Nicht sehr gut. Er war eine Ecke älter als ich, war schon Professor, als ich noch studierte.«
    »Ist er tot?«
    Pause.
    »Professor?«
    »Das war eine echte Tragödie.«
    »Was ist passiert?«
    »Eine Tragödie. In jeder Hinsicht. Die Karriere. Seine Tochter.«
    »Helfen Sie mir auf die Sprünge, ich weiß nichts darüber.«
    »Man sagte, er wäre durchgedreht.«
    »In welcher Weise?«
    »Es hieß, er wäre von Dämonen besessen gewesen.« Er sagte das mit einem kurzen, humorlosen Lachen.
    »Besessen? Von Dämonen?«
    »Professor Giovanni Nobile war Dämonologe. Wussten Sie das nicht?«
    »Ich wusste,

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